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Generaloberst Helmuth von Moltke

Erinnerungen - Briefe - Dokumente

-^

■•

Generaloberst

Helmuth von Moltke

sPrinneningen Briefe Dokumente

1877-1916

Ein Bild vom Klriegsausbruch,

erster Kriegsiührung und Persönlichkeit des

ersten militärischen Führers des Krieges

Herausgegeben und mit einem Vorwort versehen von

Eliza von Moltke

ffeb. Orllln If oltke-Huitfeldt

1922

Der Kommende Tag A.-G. Verlag, Stuttgart

MAR 2t 1923

Erste Auflage

Erstes bis fünftes Tausend

Alle Rechte, insbesondere das der Übersetzung in samtliche Sprachen,

ausdrücklich vorbehalten

Copyright 1922 by Der Kommende Tag A.-G.

Verlag, Stuttgart

Draok: Dar K«mm«id« Ta^ A.*0. Vtrlac, Stativaft

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Vorwort des Herausgebers

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auifbauty unmöglich zu machen, scheiterte. Die Aiif- zeichnungen sollten damals erscheinen, um vor die Menschen und Völker die nackten Tatsachen hinzu- stellen und dadurch eine Gegenwirkung gegen die Ver- schleierung der Wahrheit zu schaffen. Auch dieser Versuch eines Appells an die Öffentlichkeit scheiterte, da das Erscheinen der Aufzeichnungen durch das Ein- greifen gewisser Persönlichkeiten verhindert wurde. Seitdem dieses im Jahre 191g sich abspielte, hat sich manches zugetragen. Der Frieden von Versailles, des- sen Schuldartikel deutsche Unterhändler unterschrie- ben haben, hat das größte Unheil über Deutschland und die Welt gebracht. In Deutschland ist inzwischen eine ganze Literatur entstanden, die sich mit den Grün- den des Kriegsverlustes beschäftigt. Immer wieder wird auf die Mameschlacht und das Versagen der ersten Obersten Heeresleitung, insbesondere auf die angebliche Unfähigkeit Moltkes hingewiesen. Heißt es doch in dem von Karl Rosner herausgegebenen Buch »Erinnerungen« des ehemaligen Kronprinzen Wilhelm, Moltke habe »in einem mißverstandenen Pflichtgefühl, wider Willen und in Erkenntnis seiner Unzulänglichkeit« eine Aufgabe, die über seine Kräfte ging, auf sich genommen. Das sei sein Verhängnis geworden. Seines und der Unsrigen.

ierten Regierungen erklären, und Deutschland erkennt dies an, daß Deutschland und seine Verbündeten fUr alle von ihnen ver- ursachten, den alliierten und assoziierten Regierungen und ihren Volksangehörigen erwachsenen Verluste und Schäden verant- wortlich sind, die entstanden sind als Folgen des Krieges, der ihnen durch den Angriff Deutschlands und seiner Verbündeten aufwiegt worden ist

Ich tage das Obige trotx dieser etwas wenig sagenden Passung des Artikels nicht aus einer fälschlichen Inter- pretation desselben heraus, die den Deutschen sonst vorgeworfen wird, sondern weil das Gesagte seine tat- sachliche Folge und seine Behandlung von Seiten der Sieger in Wirklichkeit so ist (Der Herausgeber.)

VIII

sfundheit frisch und tatkräftig am x. August ins Schloß. Erst, was er dort in den Nachmittagsstunden des i. Au- gust erleben mußte, hat ihn auf das schwerste ge- troffen. Dem Generalstabschef oblag es, die militäri- schen Maßregeln so zu ergreifen, daß das Vaterland inmitten eines Walles von Feinden nicht zertrüm- mert werde; die Politik, die auf Sand gebaut war, versagte, und darum war die militärische Verfügung die einzig mögliche. Auf Moltke, der seit Jahren mit klarem Blick die politische, wirtschaftliche und mUi- tärische Lage Deutschlands erkannt hatte, der immer auf die Gefahren hingewiesen hatte, die Deutschland drohten, lastete in diesen Stunden, in denen er um die Ausführung des Mobilmachungsplanes kämpfen mußte, ganz allein die Verantwortung. Nach diesen Stunden, in denen alle seine Einwände überhört wur- den, war Moltke ein anderer Mensch. Seine Zuver- sicht war erschüttert. Das Vertrauensverhältnis zwi- schen ihm und dem Kaiser war zerstört. Seine Ober- zeugung war von da ab : Wo solche Verhältnisse in einem Lande möglich sind, muß Unglück daraus ent- stehen. Zwar hat Helmuth von Moltke die einschlägi- gen Verhältnisse seit langer Zeit sachgemäß ernst be- urteilt, aber stets gemeint, der Ernstfall werde in den maßgebenden Persönlichkeiten die notwendigen Kräfte auslösen, was leider nicht eingetroffen ist. »Ich kann wohl Krieg führen gegen den äußeren Feind, aber nicht gegen den eigenen Kaiser«, waren seine Worte nach den vorangegangenen Erlebnissen. Der einzige Mann, der am z. August nach dem völligen Versagen der deutschen Politik die militärisch not- wendigen Verfügungen treffen mußte, der in diesen Augenblicken kämpfen mußte gegen Unverstand und Kurzsichtigkeit in militärischer und politischer Hin- sicht, dieser Mann war, als ihm endlich am Spät-

Kapitel strenger urteilen, als man jetzt gewillt ist, es zu tun, imd dann die Ursachen erkennen für vieles, das daraus folgte.

Moltke war seit Anfang Dezember 1914 wieder in Berlin. Er fing nun an, in die wirtschaftlichen Ver- hältnisse sich einzuarbeiten ; er sah die Gefahren und Übelstände im Lande, er erhob seine warnende Stim- me. Dies erregte den Unwillen derjenigen Männer, die jetzt die Macht in Händen hatten, und die ver- suchten, seine Tätigkeit zu verhindern. Zur selben Zeit entschlossen sich mehrere Persönlichkeiten, an den Kaiser heranzutreten mit dem Hinweis, daß Ge- neral von Falkenhayn ein Unglück für das Land sei, daß die Armee kein Vertrauen zu ihm habe. Feldmar- schall von Hindenburg verlangte seinen Abschied, wenn General von Falkenhayn weiter die Leitung be- halten würde. Moltke schrieb an den Kaiser, auch der Kronprinz setzte sich für die Angelegenheit ein. Aber alles war damals umsonst. Die Klarsehenden drangen nicht durch. Zwanzig Monate später, im September zgz6, drei Monate nach Moltkes Tod, wurde ausge- führt, was er zur rechten Zeit zu unternehmen geraten hat. Damals war er der einzige, der für das Verlan- gen der Un Osten führenden Persönlichkeiten an maß- gebender Stelle ausführlich den strategischen Plan vorschlug; später, als andere auf dasselbe verfielen, war es für vieles leider zu spät. Denn die Gefahren für Deutschland, die Moltke hatte kommen sehen, wenn alles so blieb, wie es damals war, die waren eingetre- ten und hatten eine verzweifelt ernste Lage gegen- über der Übermacht der Feinde geschaffen. Was hätte erreicht werden können, wenn im Jahre 1915 Moltkes Rat befolgt worden wäre, wie hätte sich die Kriegs- lage gestaltet, wenn im November 19x4 oder später im August 1915 die nötigen Truppen nach dem Osten

xn

sacht haben; denn wahrlich, nicht leichten Herzens ist der Entschluß zu diesen Veröffentlichungen ge- faßt worden, sondern aus der Erkenntnis heraus, daß es die Pflicht fordert, für einen Mann einzutreten, der in der unerhörtesten Weise verleumdet wird.

Moltke war der treueste Diener seines Königs und Vaterlandes, der an gebrochenem Herzen starb aus Sorge lun sein Volk und Land, weil er genau voraus- sah und voraus erlebte, wie alles kommen und wer- den müsse in Anbetracht der Verhältnisse, die in Deutschland herrschten. Diese Veröffentlichungen sollen dazu beitragen, daß die Wahrheit erkaimt werde, und so der Weg gefunden werden kann, um die Unwahrhaf tigkeit zu besiegen, die als zerstörende Kraft alles wahre Leben vernichten möchte, die Deutschland mehr und mehr in einen Trümmerhau- fen verwandeln wird, wie Moltke es bereits im Früh- jahr 1904 voraus empfand und niederschrieb.

Möchten doch die Deutschen endlich aufhören, sich selber zu zerfleischen, ihre besten Männer zu verun- glimpfen. Nur so kann in Erfüllung gehen, woran Helmuth von Moltke fest glaubte: die Neugeburt des echten wahren Deutschtums, aufgebaut auf Wahr- heit und Erkenntnis. Dann sind seine Leiden um sein Vaterland nicht umsonst gewesen, dann verwandelt sich seine »Tragik« in ein für das Deutschtum segen- bringendes »Heldentum«, dessen Früchte spätere Ge- schlechter ernten werden. »Ihr werdet die Wahrheit erkennen, \md die Wahrheit wird euch frei machen.«

Unter diesem Leitmotiv stehen meine Veröffent- lichungen.

Weil ein übersichtliches Bild von Moltkes Wirken und Persönlichkeit gegeben werden soll, ist die fol- gende Anordnung des Inhaltes dieses Buches getrof- fen worden.

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Erster Teil

Ein Memorandum Moltkes Betrachtungen und Erinnerungen

■' f

serbische Angelegenheit zu der Wetterwolke, die sich jeden Augenblick über Europa entladen kann.

Österreich hat den europäischen Kabinetten erklärt, daß es weder territoriale Erwerbungen auf Kosten Serbiens anstreben, noch den Bestand dieses Staates antasten wolle, es wolle den unruhigen Nachbar nur zwingen, die Bedingungen anzunehmen, die es für ein weiteres Nebeneinanderleben für nötig hält und die Serbien, wie die Erfahrung gezeigt hat, trotz feier- licher Versprechungen ungezwungen niemals halten würde.

Die österreichisch-serbische Angelegenheit ist eine rein private Auseinandersetzung, für die, wie gesagt, kein Mensch in Europa ein tiefer gehendes Interesse haben würde, das in keiner Weise den europäischen Frieden bedrohen, sondern im Gegenteil ihn festigen würde, wenn nicht Rußland sich eingemischt hätte. Das erst hat der Sache den bedrohlichen Charakter gegeben.

Osterreich hat nur einen Teil seiner Streitkräfte, 8 Armeekorps, gegen Serbien mobilisiert Gerade ge- nug, um seine Strafe3cpedition durchführen zu kön- nen. D emgegenüber trifft Rußland alle Vorbereitungen, um die Armeekorps der Militärbezirke Kiew, Odessa und Moskau, in Summa Z2 Armeekorps, in kürzester Zeit mobilisieren zu können* und verfügt ähnliche vorbereitende Maßnahmen auch im Norden, der deut- schen Grenze gegenüber, und an der Ostsee. Es er- klärt, mobilisieren zu wollen, wenn Osterreich in Serbien einrückt, da es eine Zertrümmerung Ser- biens durch Osterreich nicht zugeben könne, ob- gleich Osterreich erklärt hat, daß es an eine solche nicht denke.

Was wird und muß die weitere Folge sein?

^ R«n4b»mTkuay Moltket: Ist iiuwischm fMch«htn.

es die Mobilmachung wirklich ausspricht^ in weni- gen Tagen zum Vormarsch fertig sein kann. Damit bringt es Osterreich in eine verzweifelte Lage und schiebt ihm die Verantwortung zu, indem es doch Osterreich zwingt, sich gegen eine russische Über- raschung zu sichern. £s wird sagen: »Du Osterreich machst gegen uns mobil, du willst also den Krieg mit un8.«c

Gegen Deutschland versichert Rußland, nichts un- ternehmen zu wollen, es weiß aber ganz genau, daß Deutschland einem kriegerischen Zusammenstoß zwischen seinem Bundesgenossen und Rußland nicht untätig zusehen kann. Auch Deutschland wird gezwxuigen werden, mobil zu machen, und wiederum wird Rußland der Welt gegenüber sagen können: »Ich habe den Krieg nicht gewollt, aber Deutschland hat ihn herbeigeführt.« So werden imd müssen die Dinge sich entwickeln, wenn nicht, fast möchte man sagen, ein Wunder geschieht, um noch in letzter Stxmde einen Krieg zu verhindern, der die Kultur fast des gesamten Europas auf Jahrzehnte hinaus ver- nichten wird.

Deutschland will diesen schrecklichen Krieg nicht herbeiführen. Die deutsche Regierung weiß aber, daß es die tiefgewurzelten Gefühle der Bimdestreue, ei- nes der schönsten Züge deutschen Gemütslebens, in verhängnisvoller Weise verletzen und sich in Wider- spruch mit allen Empfindungen ihres Volkes setzen würde, wenn sie ihren Bundesgenossen in einem Au- genblick nicht zu Hilfe kommen wollte, der über des- sen Existenz entscheiden muß.

Nach den vorliegenden Nachrichten scheint auch Frankreich vorbereitende Maßnahmen für eine even- tuelle spätere Mobilmachung zu treffen. Es ist augen- QrhHfTilich. dpft "J^n^^anH iind Fr^t^^eicb in i^r**« Maß-

nahmen Hand in Hand gehen. Deutschland wird also, wenn der Zusammenstoß zwischen Osterreich und Rußland unvermeidlich ist, mobil machen und bereit sein, den Kampf nach zwei Fronten aufzuneh- men. Für die eintretendenfalls von uns beabsichtig- ten militärischen Maßnahmen ist es von größter Wichtigkeit, möglichst bald Klarheit darüber zu er- halten, ob Rußland und Frankreich gewillt sind, es auf einen Krieg mit Deutschland ankommen zu las- sen. Je weiter die Vorbereitungen unserer Nachbarn fortschreiten, um so schneller werden sie ihre Mobil- machung beendigen können. Die militärische Lage wird dadurch für uns von Tag zu Tag ungünstiger und kann, wenn unsere voraussichtlichen Gegner sich weiter in aller Ruhe vorbereiten, zu verhängnisvollen Folgen für uns führen.

Betrachtungen und Erinnerungen

Homburg^ November 1914.

Der europäische Krieg des Jahres 1914 kam demi nicht unerwartet^ der ohne diplomatische Befangen- heit in die Welt blickte. Seit Jahren stand er wie eine Wetterwolke am politischen Himmel, die gespannte europäische Lage drängte nach Entladung, und es konnte keinem Zweifel unterliegen, daß der Konflikt zwischen zwei europäischen Großstaaten den Krieg fast des gesamten Europas entfesseln werde. Das mußte schon die Folge der zwischen den Angehöri- gen der beiden Mächtegruppen abgeschlossenen Ver- träge und Vereinbarungen sein, die im Kriegsfalle Staat an Staat banden. Es war sicher, daß Deutsch- land aktiv an einem Kriege teilnehmen werde, der die Existenz der österreichisch-ungarischen Monarchie ernstlich bedrohte, und ebenso sicher, daß Frank- reich an der Seite Rußlands stehen werde. Seit Jahren stand die Entente dem Dreibund feindlich gegenüber. Daß letzterer bei der Probe des Ernstfalles versagen, daß Italien seinen bindenden Verpflichtungen nicht nachkommen werde, war allerdings nicht zu erwar- ten. Noch im Vorjahr des Krieges waren die schon früher bestehenden Abmachungen zwischen Italien und Deutschland revidiert und erneuert worden, noch im Frühjahr 19x4 waren diese Abmachungen in bin- dender Form erneut festgelegt. Italien hatte sich ver- pflichtet, im Falle des Krieges zwischen Deutschland und Frankreich 2 Kavallerie-Divisionen und 3 Ar^ meekorps Deutschland zur Verfügung zu stellen,

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chen sollte. Die Gelegenheit, den unbequemen Kon- kurrenten auf dem Weltmarkt aus dem Wege zu räu- men, mit einzugreifen, wo die Aussicht vorlag, im Verein mit Rußland und Frankreich Deutschland mit Obermacht zu erdrücken; die langjährige, von König Eduard VII. eingeleitete Wühlarbeit zur Einkreisung Deutschlands, die Hoffnung, die gefürchtete deutsche Flotte zu vernichten und damit die unbeschränkte Herrschaft der Weltmeere, die Weltherrschaft kurz- hin zu erlangen, machten es von vorneherein wahr- scheinlich, daß England in der Reihe unserer Feinde zu finden sein werde.

Die Hoffnung unserer Diplomatie, ein gutes Ver- hältnis zu England anbahnen zu können, die jahre- lang die Magnetnadel war, nach der unsere Politik eingerichtet wurde, mußte sich als verfehlt erweisen, sobald die brutalen englischen Interessen Gelegen- heit finden konnten, sich durchzusetzen. England hat es immer verstanden, seinen selbstsüchtigen Handlungen ein moralisches Mäntelchen umzuhän- gen. So mußte auch hier die Verletzung der belgi- schen Neutralität durch Deutschland als Vorwand dienen, um letzterem den Krieg zu erklären. Es mag dahingestellt bleiben, ob England sofort aktiv in den Krieg gegen uns eingetreten sein würde, wenn diese Neutralitätsverletzung nicht erfolgt wäre. Jedenfalls würde es eingegriffen haben, sobald Gefahr sich zeigte, daß Frankreich von uns überwältigt werde. Keine der kontinentalen Mächte, am wenigsten Deutschland, hätte nach der alten Praxis englischer Politik so stark werden dürfen, daß- die Gefahr einer Hegemonie vorlag. Vielleicht wäre es für Eng- land bequemer gewesen, mit seinem Eingreifen zu warten, bis die kontinentalen Staaten sich im Kriege erschöpft hätten, vielleicht hat dieser Gedanke der

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Das war das unsterbliche Verdienst Bismarcks vor den Kriegen von 1866 und 1871. Seine stete Sorge war eine Koalition Frankreichs und Rußlands, (Ue jetzt eingetreten ist und uns zu dem Kriege nach zwei Fronten zwingt. Daß das deutsche Volk eine klare Empfindung darüber gehabt hat, daß dem Vater- lande schwere Zeiten bevorständen, beweist die An- nahme der vom Generalstab und Kriegsministerium geforderten Wehrvorlage des Jahres 1912.

Mit dem Kriege nach zwei Fronten war seit Jahren im Generalstab gerechnet worden. Daß er notwendig werden würde in dem Augenblick, wo die Rivalität Rußlands und Österreichs auf dem Balkan zum offe- nen Konflikt führen werde, war klar genug. Wir wuß- ten alle, daß Frankreich an der Seite des Zarenreichs, dem es seine Milliarden zur besseren Vorbereitung für den Krieg zur Verfügung gestellt hatte, unbedingt an demselben teilnehmen würde. Man könnte die Frage auf werfen, ob Deutschland nicht weiser getan hätte, österreioh seinem Schicksal zu überlassen, statt bundestreu die ungeheure Schwere des zu erwarten- den Krieges auf sich zu nehmen. Mehrfach ist die Ansicht geäußert worden, daß der Zerfall der öster- reichisch-ungarischen Monarchie doch nicht mehr aufzuhalten sei und daß für Deutschland eigentlich keine Veranlassung vorläge, sich Österreichs wegen in das Abenteuer eines Krieges zu stürzen, über des- sen Schwere sich jedermann klar war. Die Möglich- keit, daß Deutschland, wenn es die verbündete Mon- archie preisgab, ziuiächst vor dem Kriege hätte be- wahrt werden können, muß zugegeben werden. Aber abgesehen davon, daß das deutsche Volk für eine solche Felonie kein Verständnis gehabt haben würde, wäre meiner Ansicht nach das Fallenlassen Öster- reichs ein politischer Fehler gewesen, der sich bin-

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für die spirituelle Weiterentwickelung der Mensch- heit notwendig ist^ und die deutsche Kultur ausge- schaltet; die Menschheit würde in ihrer Gesaxntent- wickelung in unheilvollster Weise zurückgeworfen werden.

Die romanischen Völker haben den Höhepunkt ihrer Entwickelung schon überschritten, sie können keine neuen befruchtenden Elemente in die Gesamt- entwickelung hineintragen. Die slawischen Völker, in erster Linie Rußland, sind noch zu weit in der Kultur zurück, um die Führung der Menschheit über- nehmen zu können. Unter der Herrschaft der Knute würde Europa in den Zustand geistiger Barbarei zu- rückgeführt werden. England verfolgt nur mate« rielle Ziele.

Eine geistige Weiterentwickelung der Menschheit ist nur durch Deutschland möglich. Deshalb wird auch Deutschland in diesem Kriege nicht unterlie- gen, es ist das einzige Volk, das zur Zeit die Führung der Menschheit zu höheren Zielen übernehmen kann.

Es ist eine gewaltige Zeit, in der wir leben.

Dieser Krieg wird eine neue Entwickelung der Ge- schichte zur Folge haben, und sein Ergebnis wird der gesamten Welt die Bahn vorschreiben, auf der sie in den nächsten Jahrhunderten vorzuschreiten haben wird.

Deutschland hat den Krieg nicht herbeigeführt, es ist nicht in ihn eingetreten aus Eroberungslust oder aus aggressiven Absichten gegen seine Nachbarn.

Der Krieg ist ihm von seinen Gegnern aufgezwun- gen worden, und wir kämpfen um unsere nationale Existenz, um das Fortbestehen unseres Volkes, \in- seres nationalen Lebens. Damit kämpfen wir um ide- ale Güter, während unsere Gegner es offen ausspre- chen, daß ihr Ziel die Vemichtimig Deutschlands ist.

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Osterreich in ehrlicher Weise zu vermitteln versuchte, in Rußland die Mobilmachung auch der nördlichen Militärbezirke ausgesprochen wurde. Zwar erklärte der Zar, daß diese Mobilmachung sich nicht gegen Deutschland richte, daß Rußland den Krieg gegen Deutschland nicht wolle, es stellte aber damit die An- forderung an uns, ohne eigene Kriegsvorbereitung der Willkür eines fertig gerüsteten Rußlands uns aus- geliefert zu sehen.

Das war natürlich für Deutschland unmöglich. Mit dem Augenblick, wo Rußland sein gesamtes Heer mo- bilisierte, waren auch wir gezwungen, mobil zu ma- chen. Hätten wir es nicht getan, wäre Rußland jeder- zeit in der Lage gewesen, in unser ungeschütztes Land einzumarschieren und eine spätere Mobilma- chung für uns unmöglich zu machen.

Es kann für jeden Unbefangenen keinem Zweifel imterliegen, daß Rußland es gewesen ist, das diesen Krieg entfacht hat. Es wußte genau, daß Deutschland seinen Bundesgenossen Österreich nicht vernichten lassen werde, aber es hatte durch sein hinterlistiges Verhalten Zeit gewonnen und war in seiner Mobil- machung schon weit vorgeschritten, wie Deutsch- land die seinige begann.

Wie schon erwähnt, war der Krieg gegen zwei Fronten im Generalstab schon seit Jahren bearbeitet worden. Schon unter meinem Vorgänger, dem Gra- fen Schlieffen, war der Vormarsch durch Belgien ausgearbeitet.

Diese Operation wurde dadurch begründet, daß es so gut wie ausgeschlossen schien, ohne die Verlet- zung der belgischen Neutralität das französische Heer im freien Felde zur Entscheidung zwingen zu kön- nen. Alle Nachrichten schienen es gewiß zu ma- chen, daß die Franzosen hinter ihrer starken Ostfront

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8ten Kriegswochen hat gezeigt, daß es, wie beabsich- tigt, die Franzosen zwang, sich uns im freien Felde zu stellen, und daß sie geschlagen werden konnten. Daß die Niederwerfung Frankreichs im ersten An- lauf mißlang, hat es der schnellen Hilfeleistung Eng- lands zu verdanken.

Der Handstreich auf Lüttich war ein gewagtes Un- ternehmen. Wenn er mißlang, mußte der moralische Rückschlag empfindlich sein. Was mich in erster Linie veranlaßte, ihn anzuordnen, war die Hoffnung, damit die Bahn Aachen Lüttich unzerstört in unse- ren Besitz zu bringen. Das ist gelungen, und daß wir die Bahn bis Brüssel und darüber hinaus bis St Quentin später zur Verfügung hatten, ist von unbe- rechenbarem Nutzen gewesen.

Am Tage vor der Mobilmachung war eine De- pesche aus London eingetroffen, in der gesagt war, daß England sich Frankreich gegenüber verpflichtet habe, den Schutz der französischen Nordküste gegen deutsche Angriffe von der See her zu schützen. Der Kaiser forderte meine Ansicht, und ich erklärte, daß wir uns unbedenklich verpflichten könnten, die fran- zösische Nordküste nicht anzugreifen, wenn England unter dieser Voraussetzung neutral bleiben werde. Meiner Ansicht nach werde der Kampf gegen Frank- reich zu Lande entschieden werden, ein Angriff von der See könne, wenn die Neutralität Englands davon abhinge, unterbleiben. Diese Depesche war augen- scheinlich der erste Versuch Englands, uns zu dü- pieren, wenigstens unsere Mobilmachung zu ver- zögern.

Auf die am 28. Juli oder 2g.? * eintreffende Nach- richt, daß in Rußland die allgemeine Mobilmachung befohlen sei, hatte der Kaiser die Erklärung: drohende

* Am 39. Juli. (Der HenittBffeb«r.)

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sich nicht improvisieren, es sei das Ergebnis einer vollen, mühsamen Jahresarbeit und könne, einmal festgelegt, nicht geändert werden. Wenn Se. Majestät darauf bestehen, das gesamte Heer nach dem Osten zu führen, so würden dieselben kein schlagfertiges Heer, sondern einen wüsten Haufen ungeordneter be- waffneter Menschen ohne Verpflegung haben. Der Kaiser bestand auf seiner Forderung und wurde sehr ungehalten, er sagte mir unter anderem: »Ihr Onkel würde mir eine andere Antwort gegeben haben!«, was mir sehr wehe tat. Ich habe nie den Anspruch er- hoben, dem Feldmarschall gleichwertig zu sein. Daran, daß es für uns eine Katastrophe herbeiführen müßte, wenn wir mit unserer gesamten Armee nach Rußland hineinmarschiert wären, mit einem mobilen Frankreich im Rücken, daran schien kein Mensch zu denken. Wie hätte England es jemals selbst den guten Willen vorausgesetzt verhindern können, daß Frankreich uns in den Rücken fiell Auch meine Einwendung, daß Frankreich bereits in der Mobilmachung begriffen sei und daß es unmöglich sei, daß ein mobiles Deutschland und ein mobiles Frankreich sich friedlich darauf einigen würden, sich gegenseitig nichts zu tim, blieb erfolglos. Die Stim- mung wurde inuner erregter, und ich stand ganz al- lein da.

Schließlich gelang es mir, Se. Majestät davon zu überzeugen, daß unser Aufmarsch, der mit starken Kräften gegen Frankreich, mit schwachen Defensiv- kräften gegen Rußland gedacht war, planmäßig aus- laufen müßte, wenn nicht die unheilvollste Verwir- rung entstehen solle. Ich sagte dem Kaiser, daß es nach vollendetem Aufmarsch möglich sein werde, be- liebig starke Teile des Heeres nach dem Osten zu überführen, an dem Aufmarsch selbst dürfe nichts

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rem Aufmarsch gebrauchten. Um so schwerer traf es mich, als der Reichskanzler nun erklärte, die Beset- zung Luxemburgs dürfe unter keinen Umständen statt- finden, sie sei eine direkte Bedrohung Frankreichs luid würde die angebotene englische Garantie illuso- risch machen. Während ich dabeistand, wandte sich der Kaiser, ohne mich zu fragen, an den Flügel- adjutanten vom Dienst und befahl ihm, sofort tele- graphisch der i6. Division nach Trier den Befehl zu übermitteln, sie solle nicht in Luxemburg einmar- schieren. — Mir war zumut, als ob mir das Herz bre- chen sollte. Abermals lag die Gefahr vor, daß un- ser Aufmarsch in Verwirrung gebracht werde. Was das heißt, kann in vollem Umfang wohl nur derjenige ermessen, dem die komplizierte und bis auf das kleinste DetaU geregelte Arbeit eines Aufmarsches bekannt ist. Wo jeder Zug auf die Minute geregelt ist, muß jede Änderung in verhängnisvoller Weise wirken. Ich versuchte vergebens, Se. Majestät davon zu über- zeugen, daß wir die Luxemburger Bahnen brauchten und sie sichern müßten, ich wurde mit der Bemer- kung abgefertigt, ich möchte statt ihrer andere Bahnen benutzen. Es blieb bei dem Befehl.

Damit war ich entlassen. Es ist unmöglich, die Stim- mung zu schildern, in der ich zu Hause ankam. Ich war wie gebrochen und vergoß Tränen der Verzweif- lung. Wie mir die Depesche an die x6. Division vor- gelegt wurde, die den telephonisch gegebenen Be- fehl wiederholte, stieß ich die Feder auf den Tisch und erklärte, ich unterschreibe sie nicht. Ich kann nicht meine Unterschrift, die erste nach Ausspruch der Mobilmachiuig, unter einen Befehl setzen, der etwas widerruft, was planmäßig vorbereitet ist, und der von der Truppe sofort als Zeichen der Unsicher- heit empfunden werden wird. »Machen Sie mit der

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Ich mußte es dem Kaiser melden. Er sagte mir: »Das habe ich m.ir gleich gedacht Mir hat dies Vorgehen gegen Belgien den Krieg mit England auf den Hals gebracht« Als am nächsten Tage die Meldimg kam, daß die Stadt von uns genommen sei, wurde ich ab- geküßt —

Nach dem ersten raschen und siegreichen Vorgehen unserer Armeen durch Belgien nach Frankreich hin- ein trat der Rückschlag ein durch den Angriff star- ker französischer und englischer Kräfte von Piuis her gegen unseren rechten Flügel. Die 2. Armee mußte ihren rechten Flügel zurücknehmeni auch die i. Ar- mee mußte zurückgenommen werden. Die Lage war kritisch. Ich war zu den Armee-Oberkonunandos herausgefahren. Wie ich bei A.-O.-K.4 war, kam ein Funkspruch der 2. Armee, daß starke französisphe Kräftenach Osten abbiegend gegen die 3. Armee. vor- gingen. Ich wollte die 3. Armee gerne stehenlassen, ebenso die 4. und 5. Wie ich zum A.-O.-K. 3 kam, erklärte mir der General v. Hausen, er könne die ihm zugewiesene Linie nicht halten, seine Truppen seien nicht mehr leistungsfähig. Ich war daher gezwungen, der 3. Armee eine kürzere imd weiter zurückliegende Linie zuzuweisen, gleichzeitig mußte ich aber die 4. und 5. Armee ebenfalls zurücknehmen, um wieder eine geschlossene Armeefront herzustellen. Ich mußte den entsprechenden Befehl sofort an Ort imd Stelle aus- geben, auf meine eigene Verantwortung hin. Es war ein schwerer Entschluß, den ich fassen mußte, ohne die Genehmigung Sr. Majestät vorher einholen zu können. Der schwerste Entschluß meines Lebens, der mich mein Herzblut gekostet hat. Ich sah aber eine Katastrophe voraus, wenn ich das Heer nicht zurückgenommen hätte. In der Nacht um 3 Uhr kam ich wieder in Luxemburg im Großen Hauptquartier

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So blieb ich im Hauptquartier, während mir alles aus der Hand genommen wurde und ich ohne allen Einfluß als Zuschauer dastand. Das wird vielleicht niemand verstehen. Ich habe dies Martyrium auf mich genommen und die weiteren Operationen ' mit meinem Namen gedeckt, des Landes wegen und um dem Kaiser es zu ersparen, daß von ihm gesagt werde, er habe seinen Generalstabschef fortgeschickt, sobald der erste Rückschlag eintrat. Ich wußte, welche un- heilvollen Folgen das haben müßte. Später bat ich Se. Majestät, mich nach Brüssel zu schicken, um die Einnahme von Antwerpen mit zu betreiben. Ich konnte es nicht mehr ertragen, ohne Tätigkeit und ganz bei- seite geschoben im Großen Hauptquartier anwesend zu sein. Der Kaiser genehmigte meine Bitte, und ich fuhr nach Brüssel und von dort in das Hauptquartier des Generals v.Beseler nach Fildonk. Ich war drei- mal dort, zwischendurch wieder im Großen Haupt- quartier, wohin mich die Unruhe wegen der weiteren Operationen immer wieder zurücktrieb. Dem General v.Beseler konnte ich einige Hilfsmaterialien, Brücken- trains und eine Landwehr-Brigade verschaffen. Bei der Kapitulation Antwerpens war ich in Fildonk an- wesend. Der Kaiser hatte mir Vollmacht gegeben, die eventuelle Kapitulation abzuschließen, die ich indes- sen an Beseler abtrat, dem allein die Ehre gebührte.

Nach der Kapitulation kam ich ins Große Haupt- quartier zurück. Ich hatte nun nichts mehr zu tim, war fertig und fast verzweifelt über meine Schein- stellung. — Ich ging zum Kaiser und sagte ihm, ich könne diesen Zustand nicht mehr ertragen. Er war verwundert, wie ich ihm darlegte, daß ich ganz aus- geschlossen sei, und sagte, er betrachte mich nach wie vor als den eigentlichen Leiter der Operationen. Nachdem ich ihm den Tatbestand dargelegt hatte,

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Ich bin fest überzeugt, daß der Kaiser sich nie dar- über klar geworden ist, was er mir angetan hat Er hat mir auch nach meiner Verabschiedung seine gnädige Gesinnung bewahrt.

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Zweiter Teil

Moltkes Gedanken

und sein Wirken in Teilen aus

Briefen an seine Braut

1877—1878

iven Geplauder eines unschuldigen Mädchenherzens. Das Größte, was unsere deutsche Literatur je geschaf- fen hat.

Generalstab Berlin, 13. Oktober 1877.

Es mag für heute genug sein mit dem Arbeiten, meine Gedanken, die ich lange genug auf Bücher und Papier gefesselt habe, wollen nun auch ihren Willen haben und drängen mit Gewalt fort von hier und ziehen gegen Norden, weit in die Feme. Könnte ich mit ihnen wandern I Es ist jetzt schon spät in der Nacht. Ich habe mich so in meine Arbeiten vertieft gehabt, daß ich es nicht bemerkt habe, wie die Stun- den verliefen und der Zeiger der Uhr allmählich wei- ter und weiter rückte. Rings um mich her herrscht das Schweigen der Nacht. Der Schlaf ist herabgestiegen auf die Stadt; mit leisem Flügelschlag ist er gekom- men und hat das Geräusch des Tages ausgelöscht. Er, der Freund der Armen xind Elenden, verschönt nun wohl schon manches Antlitz, das vor wenigen Stxmden noch Not und Sorge furchten, durch ein stil- les, friedliches Lächeln, und bringt dem Geplagten liebliche Träume, in denen er die Mühen des Tages vergessen kann. Nichts regt sich in den stillen Zimmern, die an das meinige stoßen, nur meine Uhr tickt ihr geschäftiges Einerlei und meine Lampe wirft ihren stillen gelben Schein auf dieses Blatt Ps^ieri auf das ich die schwarzen Buchstaben male. Es ist so recht die Zeit, wie ich sie zum Arbeiten liebe. Wenn die Wagen nicht mehr durch die Straßen ras- seln und kein lautes Geräusch die Aufmerksamkeit mehr abzieht, dann erwachen die Geisteskräfte, dann kann man alles so leicht und rasch begreifen und auffassen, daß es eine wahre Lust ist, dann fühle ich so recht, was es heißt, mit Lust arbeiten imd gegen

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Welt zu Welt wandern zu können dm-ch die unend- lichen Säulen des Himmels, das zu sehen, was wir jetzt nur ahnen können, und die Seligkeit zu genießen darin, wie es verheißen ist: im Anschauen der Herr- lichkeit Gottes, die sich so offenbart, wie wir sie be* greifen können, nämlich in den allgewaltigen Wer- ken des allmächtigen Schöpfers. Dieser Gredanke ge- fällt mir besser als die starre Ruhe des Todes, von der es heißt, daß der Mensch schläft, bis ihn die Po- saune des Weltgerichts aus seinem Schlummer auf- schreckt. Wir schlafen hier auf Erden schon so viel, sollen wir denn nach dem Tode erst recht anfangen! Glaube aber nicht, daß ich der Ansicht der Spiri- tisten bin. Nach meiner Meinung haben wir mit dem Tode mit dieser Erde abgeschlossen und kommen nicht dahin zurück. Ich denke. Du wirst mich ver- stehen und mich nicht für einen mystischen Schwär- mer halten.

Generalstab Berlin, 7.November 1877*

Du mußt nicht an diese dummen Kriegsgerüchte glauben. Frankreich hat noch zu sehr an seinen Wun- den zu heilen, um Lust zu haben, sich neue zu holen» Aber wenn wir marschieren müssen, dann wirst auch Du die Zähne aufeinander beißen und wirst mich gehen lassen, meine Pflicht zu tun wie alle andern» Mein Blut und Leib gehört dem König und dem Va- terland, mein Herz aber ist mein Eigentum.

Generalstab Berlin, 7. November 1877, abends.

Fürchtest Du Dich davor, daß es wieder Krieg wer- den wird? Wenn das der Fall ist, so sage ich Dir, glaube nichts von dem, was die andern sprechen^ denn ich kann Dir versichern, daß es kein Krieg wer- den wird. Ein Krieg fällt nicht so ohne weiteres vonk

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keine Menschen. Es hat jeder seine Fehler und Schwä- chen. Es kommt nur darauf an, daß man seine Fehler erkennt und sie zu verbessern sucht. Dieses Stre- ben muß in jedem Menschen vorhanden sein, wenn er nicht immer tiefer in sich versinken will. Mit gutem Willen aber läßt sich viel ausrichten. Wir wollen beide sehen, daß wir uns gegenseitig besser machen imd einer dem andern darin helfen.

Weißt Du noch, wie wir einmal über die Hiero- glyphen in den ägyptischen Grabmälem sprachen? An sie muß ich denken, wenn ich vor Deinen Zeich- nungen sitze, und mir zuerst klar zu machen suche, ob es ein Mensch oder eine Landschaft ist, die ich vor mir habel Wie oft verweile ich in Gedanken bei den schönen Stunden, wo wir zusammensaßen, uns zusammen freuten und Unsinn machten wie Kin- der, und dann wieder, wie Du mir so aufmerksam zu- hörtest, wenn ich Dir die Abhandlung über den Chor in der griechischen Tragödie vorlas. Es war so schön, bei Dir Interessen zu finden, die auf alles eingingen.

Generalstab Berlin, 27. November 1877.

Wie ich zufällig aufsehe und mein Blick auf die Bücher fällt, die vor mir auf dem Tisch liegen, da sitzt da jemand oben auf einem dicken Buch, sagt gar nichts und hält mir ein Blatt Papier hin, darauf steht: »Weihnacht«. Ich nicke ihm zu und sag': »SchongutIDichkenneichauchschonlangeundweiß, daß du da in meinen Büchern wohnst, so daß, wenn ich sie aufschlage, du mir daraus entgegentrittst und dich Tag und Nacht auf meinem Schreibtisch herum- treibst. Schon gut, mein kleiner Freund, wir müssen warten, die Zeit wird kommen. Dann aber, wenn sie da ist, sollst du mit nach Schweden und deinen Ka- meraden besuchen. Wie werdet ihr beide froh seini«

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tionell festgesetzt wie alle Regeln des Anstandes und der guten Sitte, die doch wirklich bisweilen töricht und wunderbar genug sind, und doch, wenn man sie nicht befolgen wollte, würden wir mit der Zeit wieder dahin kommen, Eicheln zu essen wie unsere Vor- fahren und uns mit Knitteln zu erschlagen.

Generalstab Berlin, S.Dezember 1877.

Wie ich heute morgen aufstand, lag der weiße Reif auf den Bäumen und den Rasenplätzen vor dem Hause. Die ersten leichten Truppen, welche der Winter vor- ausschickt, um zu rekognoszieren, ob er mit der Haupt- macht nachrücken könne oder ob hier imd da noch eine unvorsichtige Blume, die der abziehende Herbst zurückgelassen, naseweis sich über der Erde aufhalte. Diese letzten Spätlinge vertreibt der Reif; was noch an grünem Pflanzenleben da war, ist vernichtet und die Bahn ist freigemacht für den König Winter. Er kann kommen mit Schnee und Nebel, und dann mit Frost und klarem Sonnenschein, doch ohne Wärme, gleichsam ein Spiegelbild der heißen Sommersonne; dieselbe Sonne, dieselben Strahlen, aber ohne daß sie Leben wecken, ohne daß sie die starre Erde er- wärmen, ohne daß sie aus allen Furchen den feuch- ten Dampf des knospenden Frühjahrs steigen macht. Und dieser Unterschied bloß deshalb, weil die Son- nenstrahlen etwas schräger auf die Erde fallen als im Sommer, obgleich die Erde im Winter der Sonne näher ist als im Sommert Ich will Dir aber keine physikalischen Vorlesungen halten, sondern Dir nur erzählen, wie schwach diese ersten winterlichen An- griffe sind, denn heute mittag schon tropft es wieder von allen Dächern und der naßfeuchte Dunst, in den wir seit einem Monat eingehüllt sind, liegt wieder auf der Stadt wie ein Witwenschleier. Es geht mir ge-

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dem Geist auf die Spur zu kommen, mit dem der eine odei der andere Künsüer seine Pigiu-en geschaffen hat Man kann sich bei einigen Bildern so viel, bei anderen so wenig denken, alle aber sehen einen stumm und bedeutsam an, als wollten sie sagen: Willst du mich verstehen, so denke über mich nach. Vergiß dich und die Zeit und Welt, in der du lebst, und ver- setze dich in meine Welt imd in meine Zeit. Dann werden die Figiuren lebendig xmd die Geschichten der Vergangenheit, die sie darstellen, werden leben- dig und steigen auf aus der alten grauen Zeit mit ihren Freuden und Schmerzen, ihren guten und bö- sen Taten.

Generalstab Berlin, 24. Januar 1878.

Wenn Dir ein Mensch gegenübertritt mit kleinlichen Gedanken, ein Mensch, der im Staube kriecht und der sich wohlfühlt im Schmutz, dann laß den ganzen Stolz deiner Seele aufbrausen wie einen Orkan, wende Dich ab voll Verachtung von allem, was klein und gemein ist, und halte fest an dem Idealen, an dem Wahren und Schönen, dann sei stolz, stolz in Dei- nem Glauben an Wahrheit und Recht, stolz gegen kleinliche Menschen, stolz gegen Lüge imd Verleimi- düng. Wende Deinen Blick immer nach oben, nie- mals nach unten. Offne Dein Herz weit, wo Wahr- heit und Schönheit ihm entgegentritt, aber schließe es fest ab gegen alles, was unrecht ist.

Generalstab Berlin, 28. Januar 1878.

Welch ein Glück, daß gelegentlich des Turmbaues zu Babel die Musik sich aus der Sprachverwirrung gerettet hat und Gemeingut aller Nationen geblieben ist! Denke Dir, wenn jedes Volk wie seine eigene

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zelne herausgerissene Sätze derselben a\if die Fah- nen ihrer sozialistischen Bestrebungen schreiben. Es werden schlimme Zeiten kommen, wenn noch nicht bald, so werden sie kommen, wir beide werden noch mitten drin stehen in dem Sturm. Mein ar- mes Vaterland, du schönes, stolzes Reich, dessen mächtiger Adler seine Schwingen breitet über alle Meere, was werden sie aus dir machen! Solange die Armee nur aushält, ist alles gut, da steckt ein guter I und gesunder Stamm darin, und die militärische Ehrt ist stark in ihr, aber die Armee formiert sich aus dem Volk, und wenn die Balken morsch werden, stürzt das Haus ein. Diese unsinnigen Menschen, sie wis* sen nicht, was sie tun, sie legen die Fackel an das Pulverfaß, ohne zu denken, daß sie sich selber mit in die Luft sprengen; sie glauben, die Bewegung leiten zu können und bedenken nicht, daß der rasende Strom des entfesselten Pöbels sie hinwegschwemmen wird wie Strohhalme, wenn der Damm gebrochen ist, den sie langsam unterwühlen. Sie nennen sich Volksbe- glücker und haben nicht acht auf das namenlose Elend, das sie über dasselbe Volk bringen werden, das sie beglücken wollen; wenn sie sich doch ein Bei- spiel nehmen wollten an den Girondisten der franzö- sischen Revolution, edle Männer mit den besten Ab- sichten, die die Früchte ihrer Volksbeglückung auf dem Schafott der Guillotine fanden.

Jetzt bin ich wohl zu weitgekonunen und Du schüt- telst den Kopf über diesen politischen Brief. Magst Du ihn immerhin lesen, warum solltest Du nicht Teil haben an dem, was uns alle so nahe angeht. Mache Dir übrigens keine Sorge, noch ist alles nur im An- fang, aber ich sehe es kommen, wie es werden wird. Wärst Du hier, könnten wir besser miteinander sprechen und Du würdest ebenso gut Deine politische

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daß es empfänglich ist für die Sprache der feinen Blätter, die so graziös auf dem Säle sitzen, die mit ihren lichten Farben das Auge erfreuen, die ihren Duft von Schweden herübertragen und Grüße brin- gen I

Generalstab Berlin, 28.Februar 1878.

Es ist still um mich her, fast könnte man glauben, daß man die Atemzüge des vergehenden Monats hören könnte. Er geht dahin in die endlose Vergangenheit zu der unendlichen Zahl seiner Brüder, ein vorüber- geschwundener Sekundenschlag an der großen Uhr der Zeit und doch wie unendlich viel hat sich in ihm zusammengedrängt. Was wird sein Nachfolger bringen? Die Wogen der politischen Strömung schla- gen hoch. Was wird daraus werden?

Generalstab Berlin, 22. März 1878. An Sr. Majestät des Kaisers Geburtstag I

Möge der gute Gott ihn uns noch lange erhalten, möge er tausend und aber tausend Wünsche für das Heil unseres geliebten Kaisers erhören, die an dem heutigen Tage aus allen Gauen des deutschen Rei- ches zu ihm aufsteigen, dieses Reiches, das er groß imd mächtig gemacht hat, dieses Reiches, dessen Traum, den es geträmnt hat seit hunderten von Jahren, er zur Erfüllung gebracht hat, den Kindheits- traum des jungen Deutschland, an dem es gehalten hat bis in sein Mannesalter hinauf, den seine Dichter gesungen haben in zahllosen Liedern und den es im Herzen getragen hat, trotzdem es zerrissen und zer- fallen war, wie seinen köstlichsten Schatz, dieses Ideal des deutschen Volkes, das sein Leitstern gewesen ist in der Nacht der Knechtschaft imd Unterdrückimg; das Völkermorgenrot, das uns gestrahlt hat in den

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wenn auch mancher unter euch ist, der sich aufleh- nen möchte gegen den Kriegerstand, der so eisern auf dem Volke liegt, ihr seid doch alle Deutsche, und wenn das Vaterland und der Kaiser ruft, seid ihr doch alle da und haltet den Schild der deutschen Ehre hoch und rein in starker deutscher Hand, daß an seiner ehernen Festigkeit zerschellen müssen alle Feinde, die die Hand nach den heiligen deutschen Gütern ausstrecken, ihr liebt es ja doch alle so sehr, euer deutsches Vaterland.

Generalstab Berlin, z. April 1878.

Heute ist also der Tag, auf den ich so lange gewar- tet habe nun mögen auch seine Nachfolger sich schleunigst auf die Reise machen in die Regionen der Vergangenheit, aus denen nichts wieder zurück- kehrt, das einzige, was Macht hat, diese Toten zu be- suchen, ist die Erinnerung. Erinnerung und Hoffnung, diese beiden Gottesgaben, die wir Menschen zur Ver- schönerung unseres Erdenlebens mitbekonnnen ha- ben, das eine der Vergangenheit, das andere der Zu- kunft angehörig. So berühren sie sich immer mit An- fang und Ende, ohne jemals die Gebiete wechseln zu können. Der Raum der Hoffnung wird enger und enger mit den kommenden Jahren, mit ihnen das Ge- biet der Erinnerung weiter und weiter, und mitten zwischen beiden, gerade da, wo die eine anfängt die andere aufhört, steht der Mensch mit seinem klopfen- den Herzen, das unter dem Einfluß beider lebt imd bebt Immer hofft es, und doch wie selten hält die Erinnerung das, was die Hoffnung versprochen hatte, \md doch bleibt diese ewig jimg und ewig neu, bis mit dem letzten Atemzuge die Hoffnung aufhört und die Erinnenmg ihre lange Liste abschließt. So geht es ja auch mir. Ich habe viel von beiden. Die Erinne-

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kleine Menschenherz, dies Nichts, das verschwindet ohne Weg und Spur, welche Welt hat es in sich ge- borgen! Die Tage kommen und gehen, in der Perlen- schnur der Ewigkeit reiht sich Stunde an Stunde und wir ziehen mit dem Unbekannten entgegen, wie der Schiffer auf dem Meere, der den Winden folgt, die ihn treiben imd nur den Kompaß hat, der ihm seine Richtung weist. Mein Kompaß zeigt nach Norden, er ist also gut imstande, am Steuerruder meines Le- bensschiffes sitzt die Hoffnung, der Wind ist günstig und die Segel schwellen. Glückliche Fahrt I Ich weiß es ja, daiß ich es nicht alleine rufe. Ich bin Ja nicht alleine in dieser öden Welt.

Generalstab Berlin, 3. April 187&

Nun habe ich von allem, was Gesellschaft heißt, ge- nug, mache einen Strich darunter und ziehe das Fa- zit. Was kommt dabei heraus? Nicht viel Profit, den ich gehabt hätte. Dieselben Menschen wie immer» dieselben Interessen, dieselben Gedankenkreise, die ich schon im vorigen Winter kennen lernte und die mir jetzt wieder entgegengetreten sind. Wie sind sie doch kleinlich, diese Menschen, die nichts im Kopfe haben als ihre liebe Person, denen ihr Ich der Gott ist, dem alles geopfert wird. Ich weiß nicht, ob ich in diesem Jahre schärfer urteile als früher oder ob vielleicht meine Beobachtung unbefangener ist wie im vergangenen Jahr, aber ich habe noch nie so die Nichtigkeit der Gesellschaftsmenschen bemerkt wie diesen Winter, und wenn ich aufrichtig sein soll, ich selber bin mir noch niemals so töricht vorgekom- men als die verflossenen Monate, wenn ich in Gesell- schaften den Liebenswürdigen spielte, ohne mit dem Herzen dabei zu sein. Ich will nichts von dieser Ge- sellschaft, ich finde nichts in ihr, das wert wäre, sich

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Generalstab Berlin, 25. Mai 1878.

Wenn die Leute sich in Paris den Krieg wahrsagen lassen, so finde ich, können sie einem nur leid tun. Dann kannst Du ganz sicher sein, daß keiner kommt. Außerdem traue ich mehr auf die politische Lage als auf das Geschwätz, das aus dem Munde eines alten Weibes kommt und mit dem ich meine Ohren nicht beschmutzen möchte. Wie kann man nur so . . . sein!

Generalstab Berlin, 31. Mai 1878.

Ich denke mir, Ihr seid in den jetzigen Tagen ein- mal in Versailles gewesen imd habt Euch dort im Schloß die wundervollen Gemälde von Horace Ver- net angesehen. Wie manches Mal bin ich durch diese Säle gewandert und habe mich an den schönen Bil- dern erfreut. Besonders ist mir eins in der Erinne- rung geblieben, ein Oberfall eines maurischen Lagers durch französische Chasseurs k cheval, femer die Er- stürmung des Malakoff, wo der kleine Tambour so schnell vor der Mauerlücke vorbei läuft, tun ^eder den schützenden Wall zu gewinnen. Schön ist diese Sammlung, imd es ist zu bedauern, daß nicht auch Deutschland einen Schlachtenmaler hervorge- bracht hat, der aus der reichen und ruhmvollen kriegs- geschichtlichen Entwickelimg desselben in ähnlicher Art wie Vemet die bedeutendsten Episoden für die Nachwelt fixiert hat. Die Schlachtenbilder, welche unsere Maler gemalt haben, lassen meistens kalt und sind ohne Leben, ohne Aktion und unnatürlich, nur wenige Ausnahmen zum Besseren wüßte ich. Merk- würdig, daß wir es verstehen, die Schlachten zu schla- gen, aber nicht den Geist des Gefechtes auf die Lein- wand zu übertragen! Jedenfalls darfst Du Paris nicht verlassen, ohne Versailles gesehen zu haben^

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tag schwach und tatlos, elende feige Gesellen, die es nicht wagen, gegen das aufzutreten, was sie die Volks- rechte nennen, und dadurch die blutigen Leidenschaf- ten der Kanaille entfesseln, unsere Minister mit dem Liberalismus kokettierend, unsere Industrie liegt brach, ihre Produkte werden im Auslande beiseite- geschoben, alles vorbei und aus, und nun noch dieser Schimpf. Ich war so froh in dem Gedanken, Dich in unser deutsches Land bringen zu können, Txras mußt Du jetzt von uns denken I Wie kann ich wieder nach Schweden kommen, wo die Leute mit Fingern auf mich zeigen werden und sagen: Das ist einer von denen, die ihren Kaiser erschießen. Das ist ge- kommen, wie ein Hagelschlag, der die jimge Saat ver- nichtet, zerknickt und zu Boden drückt, zu Boden tief in den Schmutz. Was hilft es uns, wenn Tausende auch mit Freuden mit ihren Leibern unseren Kaiser decken möchten, wenn wir jeden Augenblick bereit sind, unser Herzblut für ihn zu vergießen, was hilft es unsl Die feige Mörderhand sucht den Hinterhalt auf und die Schande der Tat liegt auf uns allen.

Generalstab Berlin, 4. Juni 1878.

Hier sitze ich wieder mit dem Schmerz und der Scham im Herzen. Ich kann das Gefühl nicht los werden, daß eine unauslöschliche Schande auf unse- rer Nation liegt. Das Blut schreit zum Himmel und klagt das Volk an, für das es gesorgt imd gearbeitet hat ein Leben von 81 Jahren hindurch. Diese Bu- ben im Auslande, die den Namen des deutschen Vol- kes an den Pranger stellen, daß jeder pfui über uns rufen muß, die die Gastfreundschaft, welche ein frem- des Volk imserem Kronprinzen angedeihen läßt, be- sudeln mit ihren unflätigen Händen, die das in den Schmutz ziehen, was jedem Menschen von Ehre hei-

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schießen, und unser Reichstag- wird sich in den Trauer- mantel seiner humanen Gesetze wickeki, denen sie das Leben des edelsten Hohenzollem geopfert haben, der je gelebt hat, wird die Achseln zucken und sagen: Wir mußten die liberalen Gesetze aufrecht erhalten.

Sie werden sitzen, diese humanen Schlafmützen, bis auch über ihnen der Staatsbau zusammenbricht und sie unter seinen Trümmern begräbt, bis das Ge- heul des blutig roten Sozialismus durch die Straßen gellt, bis die Fackeln der Volkshefe das junge Deut- sche Reich in Asche legen und unsere Feinde ihren Fuß auf den Nacken unseres zerrissenen Volkes set- zen. Es gibt keine Nation, die so wenig Patriotismus hat wie die Deutschen. Ich telegraphierte gleich an Onkel Helmuth*. Gestern ist er gekommen. Er hat auch einen Drohbrief bekommen, der Schreiber sagt ihm: Du hast Dein Leben lang von dem Schweiße der Arbeiter gepraßt usw. Ein zu gemeines Mach- werk, aber doch schmerzlich für einen Mann, der sein Leben lang nur seine Pflicht getan und so viel dazu beigetragen hat, dies Deutschland zu der Höhe zu heben, auf der es stand. Wahrhaftig, man könnte Ekel empfinden über die Feigheit und Unschlüssig- keit der Gesinnungen, welche zu herrschen scheinen.

Wäre ich ein freier Mann, ich schnürte mein Bün- del und wendete dem ganzen Schelmenpack den Rücken, ginge nach Amerika oder nach Afrika zu den Hottentotten.

* Der Chef des Oeneraletabea Gefiendfeldmanchell Onf Helmutii Moltke.

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Dritter Teil

Moltkes Gedanken

und sein Wirken in Teilen aus

Briefen an seine Frau

1879—1914

Urlaub ist. Das ist sehr angenehm. Ich kann mir sel- ber den Dienst ansetzen und mich allmählich wieder an die kleinen Finessen des praktischen Soldaten ge- wöhnen. Gleich am Montag hatten wir eine große Übung im Bataillon. Wir marschierten morgens Vs5 Uhr ab. Zuerst wurde ein großes Gefecht gemacht und dann rückten wir in ein Biwak. Wir hatten herr- liches Wetter. Unser Biwakplatz war unter schattigen Eichen, durch deren dunkelgrüne Blätter die Sonne grüngoldige Reflexe warf, die zitternd über die blan- ken Helme der Soldaten spielten. Bald brannten die Biwakfeuer und dicht gedrängt standen die Soldaten um ihre Kochkessel, in denen Fleisch und Kartoffeln zur Mittagsmahlzeit brodelten. Wir Offiziere saßen währenddem auf unseren Feldstühlen an unseren kleinen Feldtischen, und während wir abwarteten, bis unsere Mahlzeit, von den Ordonnanzen gekocht, fertig sei, rauchten wir unsere Zigarre und hörten der Re- gimentsmusik zu, die, im großen Kreise aufgestellt, vor dem Biwak ihre lustigen Weisen spielte. Oder wir lagen der Länge nach auf dem Rücken im Grase und sahen den kleinen blauen Wölkchen unserer Zi- garre nach, die leicht und luftig durch die grünen Blätter schwebten, bis sie sich verloren in dem Blau des hohen Himmels, der sich wie eine kristallene Glocke über uns ausspannte. In iVi Stunden war das E^sen fertig und wir tafelten im Grünen mit einem Appetit, wie ihn nur der Soldat kennt, der schon von Sonnenaufgang an auf den Beinen gewesen ist Nach dem Essen fingen die Soldaten an, ihre drastischen Tänze aufzuführen. Immer zwei und zwei, Polonaise, Quadrille, immer nmd mn die Musik herum. Einer hat einen großen Stock in der Hand und komman- diert den Tanz. Er ist ein Lothringer aus der Gegend von Metz, der, wie er ziun Regiment kam, nur Fran-

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blitzt weit vome ein kurzes Licht auf. Gleich darauf kommt der Knall eines S chusses durch die Nacht an un- ser Ohr. Zwei bis drei andere Schüsse knattern hinter- her, dann wieder alles still. Jetzt fallen wieder Schüsse, fünf bis sechs, rasch hintereinander. Erst sieht man den Blitz, dann kommt der Knall. Die Feldwache eilt an die Gewehre, in zwei Minuten steht die ganze Kom- pagnie aufmarschiert, wie eine dunkle Mauer, kein Laut wird dabei vernehmbar, kein Mensch spricht ein Wort, alles geht auf den leisen Zuruf der Offiziere, die wie ein dunkler Punkt vor ihren Zügen stehen. Jetzt kommt eine Meldung von den vorgeschobenen Patrouillen. Der Feind hat eine Rekognoszierung auf der Chaussee gegen unsere Stellung gemacht, ist je- doch wieder abgezogen, wie er auf unsere Patrouillen gestoßen ist. Die Gewehre werden wieder zusammen- gesetzt, in wenigen Minuten herrscht dieselbe Stille wie vorher. Um iz Uhr bekommen wir den Befehl, abzumarschieren. Um Vi^ U^^ sind wir in unseren Quartieren. Das war der erste Tag meines Hierseins«

Wüstemark, ii. September 1879.

Wir liegen sehr gut, in einer Mühle mitten im Walde. Ganz einsam, ich mit meinem ältesten Offi- zier und dem Fähnrich. Zwei Meilen von Witten- berg. Ich bin mit meiner Kompagnie ganz alleine. Sehr angenehm. Vorige Nacht biwakierten wir bei strömendem Regen. Das war weniger angenehm. Was aber der Mensch nicht alles aushält. Die Kleider sind am nächsten Morgen auf dem Leibe getrocknet. Die Nacht aber war übel. Das Wasser lief einem zum Kragen hinein und aus den Hosen wieder hinaus. Ich war mit meiner Kompagnie auf Vorposten und hatte Glück, wie Du gleich sehen wirst. Mein Major sagte mir: 3»Wenn Sie angegriffen werden, liegt Ihre

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zu neuen, reineren Anschauungen durchläuterte. Jetzt ist eine Tür von Erz dort eingelassen, in wel- cher die Sätze Luthers in das Metall eingegraben sind« In altem, schwerfälligem Lateinisch. Damals w^ar ja die deutsche Sprache nicht in dem Miuide der Kir- chenstreiter zu finden. Die Ecclesia militans stritt mit dem römischen Schwert Heute ist das anders, und unsere einheitliche Sprache, vielleicht das einzig Ei- nige, was wir besitzen, verdanken wir zum besten Teil jenem Wittenberger Mönch, der unerschrocken den Kampf gegen Papst und Kaiser aufnahm und siegreich durchfocht Dann waren wir in Luthers Wohnung in der alten Universität. Sein Wohnzim- mer ist noch unverändert erhalten. Die Bänke an den Wänden, der große Tisch, der Ofen. Bildnisse von Luther, von Cranach gemalt. An jenem Fenster mit den trüben bleigefaßten Scheiben saß Frau Katha- rina Bora, seine Frau, und schaute nach dem Herrn Doktor aus, wenn er aus dem Kolleg nach Hause kehrte. In der Aula des Universitätsgebäudes steht noch der alte, hochgebaute Lehrstuhl, von dem herab er Vorträge hielt und auf dem er, fast ein Knabe noch, seine Doktordissertation abhielt und den Doktorhut erlangte. Das alles ist interessant zu sehen. E^ um- weht einen wie der alte Geist der Reformation, wenn man durch diese Räiune schreitet. Altertümlich, kräf- tig, hausbacken \md derbe. Aber gesund \md dauer- haft. War doch eine große, gewaltige Zeit, und der Luther ein ganzer Mann.

P o t s d a m , 22. September 1879.

Wenn die unsinnigen und unbegründeten Het- zereien der russischen Presse gegen Deutschland zu einem Konflikt zwischen beiden Staaten geführt hät- ten, was ja durch die Reise unseres Kaisers glücklich

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fein, alles in Fett schwimmend. Dies Etablissement führt den stolzen Namen »Hotel zum alten Zieten«! Nachdem ich diniert hatte, machte ich eine Reko- gnoszierung rund um das Dorf herum, das seinen Namen mit Unrecht führt, denn es ist weder wild noch bergig, im Gegenteil, die ganze Gegend flach wie ein Teller, ich werde Mühe haben, die Niveau- linien laufen zu sehen. Auf der einen Seite sind weit- gestreckte Wiesen, ziemlich sumpfig, mitten in den- selben eine eigentümliche Ruine aus alter Zeit. D. h. Ruine kann man es eigentlich nicht nennen, denn es ist nur ein Erdwerk, kreisrund, Wälle von Haushöhe luid ein Graben mit Wasser rund herum. An einer Seite sieht man noch die Pfeiler einer alten Brücke. Das kolossale Bauwerk ist offenbar von Menschen aufgefahren. Viele tausend Fuhren Erde müssen nö- tig gewesen sein, um es in dem morastigen Unter- gnmd herzustellen. Aber es muß eine feste Position gewesen sein. Hier wird wohl ein alter Raubritter sein Nest gehabt haben, unangreifbar in den morasti- gen Wiesen, die nur dvurch einen Damm, auf dem jetzt die Chaussee läuft, mit dem festen Lande in Verbindung standen. Das Ding macht einen eigen- tümlichen Eindruck. Man sieht die mächtigen Wälle in den flachen Wiesen von weit her. Rimd herum an ihrem Fuße stehen Bäimie. Das Ganze ist kreisrund. Ich ging hinein. Inwendig ein großer, leerer Raum, keine Spur von Mauerwerk, daß aber solches dage- wesen, erkannte ich bald. Ein Teil des inneren Wal- les war abgestochen, der Besitzer hatte die Erde ge- braucht, um die sinnpfigen Wiesen damit auszufül- len. Bei diesem Abstechen war ein Stück eines alten Grundbaues bloßgelegt, aber keine Ziegelsteine, son- dern Granit und ohne Mörtel gefügt. Man nennt das Zyklopenmauem, und sie sind immer ein Beweis sehr

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koininene Beurteilung reicht, noch aus heidnischer -— wahrscheinlich wendischer Zeit. Morgen fahre ich das Terrain ab, welches ich aufnehmen soll, zweiein- halb Quadratmeilen. Übermorgen geht die Arbeit an.

Wildberg, 6.J\mi z88o.

Heute ist Sonntag, und es hat den ganzen Tag, vom Morgen bis zum Abend, ohne eine Pause geregnet Das ist wirklich fürchterlich. Ich habe den lieben lan- gen Tag gesessen und gezeichnet, bis mir die Augen weh taten, dann bin ich im Zimmer umhergegangen und habe gepfiffen und gesungen \uid deklamiert, es half alles nichts, ich langweile mich entsetzlich I Pluto liegt mitten im Zimmer auf dem Rücken und streckt alle vier Beine in die Luft, ihm ist sauwohl, er möchte, daß das Topographieren nie ein Ende nähme. Eine gute Unterhaltung habe ich doch» nämlich Treitschkes Deutsche Geschichte des neun- zehnten Jahrhunderts. Du hast vielleicht schon von diesem Buch sprechen hören, das alle Welt jetzt liest, mir hat es mein Hauptmann als Trosteinsamkeit ge- liehen, und ich muß gestehen, daß ich mich nicht erinnere, jemals von einem Geschichtswerk so gefes- selt worden zu sein. Das ganze Buch ist dramatische Man fühlt und lebt mit den Personen, man denkt, hofft und fürchtet mit ihnen, man wird so lebhaft in die Zeit zurückversetzt, die es schildert, daß man sich erstaunt in der Wirklichkeit wiederfindet, wenn man das Buch zuklappt. Und dabei weht ein Geist des Patriotismus und deutscher Vaterlandsliebe diu'ch das Ganze, ohne jedoch der historischen Wahrheit je- mals Gewalt anzutun, es ist herrlich.

Vichel, zg.Juni z88o. Ich bekam gestern die Meldung von meinem Haupt-

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abends nach Hause gehe, habe ich ein gewisses freu* diges Gefühl der Genugtuung.

Nackel,2z.Juli z88o.

Siehe, wie schön die Welt ist I Was wäre der Mensch, wenn er nicht hoffen könnte. Eine verkümmerte Exi- stenz, in dunklen, luiklaren Schmerzen wühlend und mit geheimem Grauen sich selbst peinigend. Die Ver- gangenheit, das Verlorene, das Nichterreichte betrau- ernd und beweinend, mit Selbstvorwürfen in namen- loser Qual sich ängstigend. Nein, die Hoffnung, diese wahre Tochter des Himmels, wurde nach der schö- nen alten Sage den Menschen geschenkt, als aus der Büchse der Pandora alle Leiden über sie daher- geflogen waren, sie alleine wog alle Leiden auf. Vor- wärts sind die Augen der Menschen gerichtet, vor- wärts soll man auch blicken, dem Licht entgegen, das uns den Morgen bringt Wer umblickt und zu- rückschaut, wird zur Salzsäule wie Lots Weib. Offene Augen und offene Herzen, siehst Du, das ist meine Ansicht und Meinung.

Segeletz, 4. September i88o.

Ich habe heute doch einen gewissen kleinen Tri- umph gefeiert, wie mein Hauptmann mir sagte, daß ich der erste fertig sei. Selbst die alten Topographen, die schon im achten bis zehnten Jahr aufnehmen, sind noch hinter mir zurück. Er fuhr alles sehr genau mit mir ab, ich glaube, eigentlich meinte er, ich hätte bei der großen Leistung von fast dreißig Minuten im letzten Monat flüchtig gearbeitet, er fand aber nichts und drückte mir gerührt die Hand, als er wegfuhr und sagte : »Eine wirklich außerordentlich fleißige Ar- beit, die ich manchem alten Topographen als Muster hinstellen kann.«

eingelebt haben, wird es Dir auch bald gut hier ge- fallen. Nur stehst Du jetzt vor einem Ungewissen und siehst nur die Vergangenheit in dem verschönern- den Lichte, das sie, dank der gütigen Weltordnung, immer annimmt, wenn sie schöne Stunden aufzu- weisen hat Das Schlimme vergessen wir ja so rasch, das Angenehme setzt sich in der Erinnerung fest, und das ist gut so. Aber auch in die Zukunft sollen wir festen Mutes sehen imd die Hoffnung festhalten, diese gute Fee des Menschengeschlechtes, die von der Wiege bis zum Grabe an der Seite des Menschen steht und mit ihrer goldig leuchtenden Fackel helle Streiflichter in das Dunkel der Zukimft wirft. Und nach diesen Streiflichtem hascht der Mensch sein ganzes Leben lang wie das Kind nach Schmetterlin- gen. — Wer die Hof fniuig verliert, hat alles verloren, denn er hat dann einen gebrochenen Mut und ein totes Herz, und ist so gut als ob er schon gestorben wäre. Darum, lassen wir der Vergangenheit ihr Recht und freuen uns der sonnigen Erinnerungen, aber vergessen wir über dem, was hinter uns liegt, nicht das, was vor uns liegt. Wenn wir ims der Ver- gangenheit freuen, so wollen wir auf die Zukxmft hoffen und nicht ungerecht werden gegen das, was über kurz oder lang ja doch auch zur Vergangenheit werden wird.

Generalstab Berlin, 21. Juni z88x.

Ich bin diesen Moment von oben heruntergekom- men, wo ich von 10 bis 7 Uhr gesessen und gearbeitet habe. Ich soll übermorgen einen Vortrag halten über das Geniewesen der österreichischen Armee, und muß das Material dazu aus allen möglichen Instruktionen, Berichten, Verordnungsblättern usw. zusammen- suchen. Eine mühselige Arbeit.

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wie die Brust weit wird und das Blut rascher pulsiert beim Einatmen der würzigen Bergesluft Ihr seid wohl über den Bodensee gegangen und dann das Rbeintal hinauf? Du bist ja jetzt dicht an der Quelle dieses uralt deutschen Stromes, um dessen reben- umwachsene Ufer schon soviel deutsches und frän- kisches Blut geflossen ist. Später wirst Du diesen Stromfürsten ja auch in seinem unteren Lauf sehen und Dich an der entzückenden Schönheit desselben berauschen. »An den Rhein, an den Rhein, zieh' nicht an den Rhein« singt der Dichter, denn hast Du ihn erst gesehen, haben seine Zauber Dein Herz umspon- nen, so krankst Du an ewiger Sehnsucht nach seinen grünen Ufern I Wie groß ist das Stück Welt- geschichte, das sich an diesen Strom knüpft, dessen schwache rieselnde Quelle Du gesehen haben wirst Du thronst jetzt soundsoviel tausend Fuß über uns anderen Sterblichen, die wir in tiefer sandiger Ebene unser Dasein weiterspinnen.

Berlin, xs.Juli z88x.

Du schreibst so hübsch und so interessant, daß ich alles, was Du gesehen, mit Dir zusammen noch ein- mal durchkoste. Aus Deinem Briefe sehe ich so recht, wie sehr Dein inneres Leben mehr und mehr erwacht ist und zum Lichte, zur Erkenntnis seiner selbst und der Dich umgebenden Außenwelt drängt Fahre nur so fort, alles was Du siehst, auf Dich wir- ken zu lassen, öffne Dein Inneres den Großartig- keiten und Schönheiten der Welt, und Du wirst sel- ber fühlen, wie Du täglich reineren Genuß an diesen Freuden haben und täglich besser lernen wirst, mit ungetrübtem Inneren zu genießen und Dich des schö- nen Lebens zu freuen. Dann, wenn Du Dich selber innerlich glücklich fühlst, wirst Du auch andere glück-

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bereitet, Briefpapier, Feder und Tinte mit, nun mußte ich reisen, ohne ein Stück davon mimehmen zu kön- nen. L. borgte mir glücklicherweise ein paar Hemden und Strümpfe, die mit in Onkel Helmuths kleinen Handkoffer gepackt wurden, das war unser ganzes Gepäck I Wir fuhren den ersten Tag bis Ratibor, wo wir in einem kleinen Hotel übernachteten, Onkel Hel- muth und ich beide in einem Zimmer. Übrigens war er natürlich überall gleich erkannt, obgleich er, wie er sagte, ganz inkognito reisen wolltet Wir kamen abends 7 Uhr an, gingen ins Hotel, ich immer mit dem Koffer, Reisedecke usw. in der Hand und dann gleich wieder aus, um die Stadt zu besehen. Auf dem Rückwege kam luis der Bürgermeister in Frack und weißer Binde entgegen, der Onkel Hei- muth begrüßte und ihn um die Ehre bat, ihn bis an sein Hotel begleiten zu dürfen. Onkel Helmuth war ziemlich kurz angebunden, verstand auch nicht, was der Mann sagte, und so zogen wir denn durch die Stadt, der Bürgermeister immer im Rinnstein neben- her mit dem krampfhaften Bemühen, Konversation zu machen, was ihm gänzlich mißglückte! Am nächsten Morgen auf dem Bahnhof große Versanmi- lung, um Onkel Helmuth abfahren zu sehen. Die Eisenbahnverwaltung hatte einen Salonwagen in den Zug einstellen lassen, was für uns sehr angenehm war, da er rund herum Fenster hatte und man so einen ' freien Blick auf die wirklich reizende Gegend des Riesengebirges und der Sudeten hatte. Die Ankunft von Onkel Helmuth war immer bereits von der Bahn- verwaltung telegraphisch vorausgemeldet, so daß alle Schaffner und Bahnbeamten bereits avertiert waren. In Oderberg tritt die Bahn auf österreichisches Ge- biet über. Auch hier war alles sehr höflich und sehr neugierig. Die österreichische Bahnverwaltung ließ

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ten Strecke ist bezaubernd schön. Je näher man dem Tatra kommt, der als ganz abgesonderte mächtige Gruppe fast unvermittelt aus der flacheren Ebene auf- steigt, desto schöner wird der Anblick, den dies im- posante Gebirge bietet. Die Spitzen sind sehr steiL Schroffe Felswände aus grauem Granit, senkrecht steil aufsteigend, bis zum dritten Teil der Höhe kriecht dichtes Nadelholz in den Schluchten hinauf, dann kommen Föhren und Arven, darüber nackter Fels mit langen, schneegefüllten Tälern und den ganz spitzen Gipfeln, die rauh und zerrissen in den blauen Himmel hineinstarren. Die Beleuchtung der gan- zen Partien ist wundervoll. Blaue tiefe Schatten wech- seln mit grell beschienenen Wänden, bisweilen hängt eine der ziehenden Wolken sich wie ein wehender Schleier um eines der Bergeshäupter, kann sich nicht von ihm loslösen, verzweigt sich in den Rissen und Schluchten, als wollte sie sich festsaugen, wallt hin- auf und zur Seite, gibt aber immer noch nicht den Gipfel frei, der mit seinen spitzen Felszacken ganz in ihr verschwunden ist, kriecht dann hinab und zer- reißt, und über ihr starren auf einmal wieder grau zerrissen und luibeweglich die Felsspitzen in den blauenden Himmel hinein. Dies immer wechselnde Schauspiel ist wunderbar schön, und ich kann wohl sagen, daß ich mich schon in das Gebirge hatte, bevor wir es noch betreten hatten. 1^««».«^.., abends 8 Uhr, kamen wir in Poprard an und stiegen aus. Onkel Helmuth hatte dem Schaffner gesagt, er wollte in Poprard die Nacht bleiben, wie aber neben dem Bahnhof eine Reihe Landwagen, mit den klei- nen, mageren ungarischen Pferden bespannt, hielten und mehrere Kutscher im zerlumptesten Kostüm, das sich denken läßt, sich erboten uns zu fahren, da der

Ah^nH p-^hH« «rar «inH *iiP I »ift »rfrfar-l)*»nd W\hln«ch

Onkel Helmuth es gewünscht hatte, und mußten die Folgen tragen I Nachdem wir in zwei falsche Häuser geführt waren, fanden wir endlich in einem dritten, hoch auf einer Lehne liegend, ein dürftiges Unter- kommen in einem ganz kleinen Zimmerchen mit einem mäßigen Bett, einem kleinen Fenster nach dem Hof und einer rechten Kellerluft. Onkel Helmuth war sehr indigniert. »Das soll nun das erste Bad Ungarns seini Das ist ja wie in einer Baude auf dem Riesen- gebirge. Eine schrecklich unzivilisierte Nation« usw. Er mußte aber doch aus der Not eine Tugend machen, und ich war froh, wie mir eine Lagerstatt auf dem steinharten Sofa zubereitet wurde. Nach- dem unser Gepäck abgelegt war, gingen wir hinunter in ein tiefer liegendes Haus, auf dessen Außenseite mit großen Buchstaben »Speisehaus« geschrieben stand. Wir traten in einen großen Saal, der gedrängt voll Menschen, Männlein und Weiblein saß. Mit Mühe fanden wir ein Unterkommen an der E^ke eines Tisches gerade vor der offenstehenden Tür, im schönsten Zugl In der Mitte des Zimmers saßen an einem Tisch der Badearzt und der Geistliche, welche eine Menge kleiner Gewinne Vor sich stehen hatten, einen Sack mit Nummern, und von Zeit zu Zeit etwas auf ungarisch mit lauter Stimme durch den Saal riefen, von dem wir natürlich keine Silbe verstanden. Fast alle Gäste hatten kleine Lottokarten vor sich, die sie aufmerksam betrachteten, und end- lich wurde es uns klar, daß die ganze Gesellschaft in ein Tombolaspiel vertieft war, das eben im besten Gange war, als wir eintraten. Wie allgemein das Interesse an diesem Spiel sei, sollten wir zu unserer Betrübnis bald dadurch erfahren, daß auch alle Kell- ner eine Lottokarte in der Hand hielten und ihre Auf- merksamkeit zwischen dieser und den Gästen sehr

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Wege bis an den sogenannten Riesenwasserfall der Kohlbach. Derselbe ist zwar sehr schön, verdient aber seinen Namen nicht wegen der zu unbedeutenden Wassermenge. Wie ich wieder lundrehte, standen die hohen Berggipfel noch gerade so hoch über mir, als sei ich ganz unten in der Ebene geblieben. Das ist das Schöne hier im Gebirge, daß alles noch so ist, wie es die Natur geschaffen hat. Hier sind keine künstlich gestauten Wasserfälle, keine auskostümier* ten Sennerinnen, keine musikalisch gebildeten und in malerische Bauemkostüme verkleideten Schalmei- bläser, keine sorgsam durchgehauenen Femblicke, keine Ruinen, die uralt verwittert an steilem Fels kle- ben und die doch erst im vorigen Jahr der Aussicht wegen aufgemauert und künstlich alt gemacht wor^ den sind, keine gußeisernen Brücken und bequemen Fußwege, keine Geländer mit verzierten Knäufen vor jedem zehn Fuß tiefen Abgnuid rein und unver- fälscht tritt die Natur luis entgegen, rauh imd zackig, wie sie geschaffen. Die Tannen, die hier mit aus- gerissenem Wurzelwerk über die Schlucht gestürzt sind, hat sicher der Wind geworfen, das Wasser braust seit Jahrtausenden über dieselben Felsblöcke, hier hat keine Menschenhand seinen Lauf reguliert, keine Schleuse staut es an, um es gegen 50 Pfennig Entree eine Minute frei zu lassen. Hie und da zieht sich ein kaum ausgetretener Fußpfad rauh und rücksichts- los über Wurzeln imd Felsen an den Hängen hin, es ist nur der Fuß des Menschen, der ihn ausgetreten hat, nicht die Hand hat ihn zur Bequemlichkeit ge- schaffen. Wo du an einen Abgnmd trittst, hemmt kein Geländer deinen Schritt, noch einen und du liegst zerschellt zwischen den Felsen. Kunstlos sind wenige notdürftige Stege über den Bach geschlagen. Ein paar kaum behauene Tannenstämme, ein harziges Gelän-

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Wir waren hungrig geworden^ und doch war es uns unmöglich, etwas zu essen zu bekommen. Im Speisehause war die Küche »gesperrt«, um Vt8 Ul^ abends wird erst wieder zur Nacht gespeist, jetzt kön- nen Sie nichts bekommen I Da zog sich denn Onkel Helmuth grollend und himgrig in sein Zimmer zu- rück, um bei einem englischen Roman die Zeit zu verbringen ; ich aber strich hinaus die Kreuz und Quer, folgte den brausenden Bächen talab, stieg wieder hin- auf, schwärmte unter den Tannen umher und war herzlich froh, keinem Menschen zu begegnen, der mir den Genuß hätte trüben können. Es ist eine hinmi- lische Natur und nach dem, was ich von den Alpen gesehen, d. h. die Tour über den St. Bernhard vom Luzemer See bis zum Luganer See, steht der Tatra ihnen an wild romantischer Schönheit in keiner Weise nach. Wie ich müde und abgetrieben zurückkehrte, saß Onkel Helmuth noch immer finster und in sehr schlechter Laune bei seinem Buch. Er hatte hoch einen Versuch gemacht, ein besseres Zimmer zu be« kommen, aber vergebens. Der Direktor hatte ihm auf die Schulter geklopft und gesagt: »Ja, schauen's, Sie können froh sein, daß Sie überhaupt noch unterge- kommen sind und nicht haben auf Stroh liegen müs- sen.« — Wir waren also noch immer im höchsten Grade inkognito. »Morgen reisen wir ab,« sagte On- kel Helmuth, »dann werde ich aber feurige Kohlen auf ihr Haupt sammeln. Sie sehen uns nicht für voll an (natürlich, dachte ich), wenn wir aber abreisen, werde ich mich einschreiben: Graf Moltke, Generalf eldmar^ schall, Ritter pp. mit allen Titeln und Würden II!« Mir tat es leid, schon wieder fort zu sollen, ich wollte gern noch mehr von den Bergen sehen und ge- brauchte demnach eine Kriegslist. Wie wir wieder zum Abendessen hinabgingen, blieb ich zurück und

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Nach einer Viertelstunde kommt auch der Direk- tor, aber nicht um Onkel Helmuth wieder auf die Schulter zu klopfen, sondern um zu sagen, daß ein sehr schönes Zimmer für ihn eingerichtet sei: das Zimmer vom Minister, Exzellenz I Das beste Zimmer, das wir haben. Herr Gott, dreht er sich um, ich hStt' mir mögen die Haare ausraufen, wie ich gehört hab', daß ich den Grafen Moltke in das Zimmer da oben getan habM Halten zu Gnaden, Exzellenz, die Sachen sollen sofort heruntergebracht werden. Und drei stänunige Hausdiener werden geschickt, um die Sa- chen zu holen I Zwei können dann wieder imikehren, denn schon kommt der erste ihnen triumphierend entgegen, in der Hand unseren Koffer schwingend, er hat die »Sachen« von Exzellenz schon alleine hin- untergebracht!

Die Enthüllimg von Onkel Helmuths wahrem We- sen brachte uns also den doppelten Vorteil, gut be- dient zu werden und ein besseres Zimmer zu erhal« ten« Wir saßen noch bei unserem Abendbrot, als aus der Schar der den Saal füllenden Gäste, ein älte- rer Herr sich erhob, auf Onkel Helmuth zuschritt und mit würdevollem Ton sagte: Exzellenz, ich be- grüße Sie im Namen der Badegäste I Dieser ähere Herr entpuppte sich als ein katholischer Propst aus Szegedin, der Stadt, die im vorigen Jahr durch die Überschwemmung derTheis fast ganz zerstört wurde. Er war Präses des Vergnügungsausschusses der Gäste und hieß Oltvarrgi Päl-pr6post, päpai Kamarös, Pe- rencz Jözsef rend lovag keresztese. ^Von dieser lan- gen Mitteilung seiner Visitenkarte ist mir nur ver- ständlich: Propst, päpstlicher Kammerherr. Dieser wackere Propst redete sehr viel, von dem Onkel Hel- muth nur den zehnten Teil verstand, und teilte uns schließlich mit, daß heute Abend im Tanzsalon des

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chend nach Atem rangen. Wunderbar sah es aus, der große Saal ganz leer, nur an den Wänden herum die nicht tanzenden Damen, und dann in der einen Ecke, oft bis so dicht in die Zigeuner hineintanzend, daB diese ihre Geigen erheben mußten, um nicht an die Köpfe der Tanzenden zu stoßen, dieser wirre Knäuel von auf und ab hüpfenden Gestalten in der elegante- sten Balltoilette I Wäre eine solche Szene auf ei- nem deutschen Ballsaal vorgefallen, man hätte sofort nach dem Irrenarzt geschickt, hier saß und stand die ganze Gesellschaft in stummem Staunen den weni- gen Paaren zusehend, die sich bei der großen Hitze einer so enorm anstrengenden Beschäftigung hin- gaben I

Onkel Helmuth, der zehn Minuten durch. die Tttr dem Spektakel zugesehen, drückte sich kopfschüt- telnd nach Hause, während ich noch blieb, da es mich interessierte zu beobachten, wie lange wohl ein Mensch dieses Herumspringen würde aushalten kön- nen! — Der ganze Tanz dauerte über eine halbe Stunde. Ab und zu fiel ein Paar ab, immer die Damen zuerst, die sich unter heftigem Sträuben ihres Herrn zurückzogen, lun völlig ermattet auf einen Stuhl zu sinken. Hatte sie sich etwas erholt, traten sie wieder ein. Andere, offenbar mit ausdauernden Waden und Lungen versehen, hielten länger durch. Nach einer Viertelstunde schwitzten alle Herren, als wären sie in einem römischen Bade. Sie ließen eine Hand los, um mit dem Taschentuch über die triefende Stirn zu fahren, ohne jedoch im Hüpfen innezuhalten. Die Da- men, gleichfalls immer hüpfend, brauchten stark dib Fächer. Dann, als schämten sie sich ihrer Schwäche, sprangen die Herren doppelt so hoch wie vorher, schüttelten die Hand mit dem Taschentuch den Zi- geunern bis unmittelbar unter die Nasen, riefen ihnen

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ringendy eine notgedrungene Pause machten I Die armen Damen taten mir leid. Es waren 2um Teil rei- sende, gra^öse Erscheinungen, die auch im Tanse eine gewisse Würde bewahrten, während bisweilen bei den Herren blitzartig eine Bewegung auftauchte, die in unangenehmer Weise an die schlenkernden Verdrehungen des Pariser Cancan par ezcellence er- innerte.

Ich machte es wie Onkel Helmuth, schüttelte den Kopf, sagte meinem Propst, der mit leuchtenden Au- gen dem Tuize eugeschaut hatte, ich hätte es sehr schön, jedenfalls sehr originell gefunden, und suchte mein Bett auf, um am andern Morgen um 5 Uhr wach m sein, wo ich einen Führer bestellt hatte, um auf den sogenannten polnischen Kamm zu steigea, der die Scheide zwischen Galizien imd Ungarn bil- dend, sich scharf und zackig vom Himmel abhebt. Denn, siehe da, Onkel Helmufh hatte in Gnaden be- schlossen, noch einen Tag in Schmeks zu bleiben, und ich wollte die Gelegenheit ausnutzen.

Schwere trübe Wolken, wallende Nebel, eine schwere schwüle Luft, das gibt sicher einen Itege»- tag, wie ich am Morgen um 5 Uhr vor die Türe trat Doch, der Tag muß genommen werden, wie er ist, sicher kommt er nicht wieder, also hinauf und ob alle Schleusen des Himmels sich über mich Öffnen möchten I

Vor mir stand der bestellte Führer, ein Jimge von fünfzehn bis sechzehn Jahren, mit gutmütigem deut* sehen Gesicht, ein echter Abkomme jener vertriebe- nen sächsischen Protestanten, die überall im Zipser Komitat angesiedelt noch unverkennbar ihre germa- nische Abstammung bewahrt haben, sowie auch die Sprache fast überall deutsch ist. Er hatte in einem Sack auf dem Rücken Proviant für uns beide ; Schnür-

ten, die wir nach Aussage des Führers passierten, nichts zu sehen war. Nach zwei Stunden kamen wir, das Felkatal, in dem wir bis jetzt aufgestiegen waren, verlassend, an ein roh gezimmertes Block- haus, welches vom Karpathenverein zum Besten der Touristen erbaut ist und in dem wir Ruhe hielten und frühstückten. Der )>gute Weg«, wie mein Führer sagte, hörte hier auf, und von nun ab kamen wir auf den schwierigen Weg. Nach einer halben Stunde ging es weiter. Jetzt kam bald der erste schlimme Weg. Eine steile Felswand, über die in ewigem Regen das Wasser hinuntersprüht. Unter diesen schweren Trop- fen hin geht der Stieg hinauf, jetzt wurde es schon bedenklich steil, und wenn man zurückschaute, der Absturz bedenklich tief. Nach Überwindung dieser ersten Schwierigkeit kamen wir in ein Tal, welches den Namen »Der Blimiengarten« führt. Und in der Tat verdient es diesen Namen und den großen Ruf, den es wegen seiner Schönheit in der ganzen Gegebd genießt

Ich hatte jetzt schon das Gefühl, daß wir so un- gefähr auf dem höchsten Punkt sein müßten, und nun denke Dir mein Staunen, wie ein glücklicher Windstoß plötzlich den Nebel zerriß, der uns ein- hüllte, und ich folgenden Anblick hatte.

Wir standen auf einer mäßig großen Wiese, auf der das üppigste Gras wucherte, mitten durch die- selbe floß sanft murmelnd mit kristallklarem Wasser die Felka über flache Steine dahin, ringsumher aber blühte und duftete es von Tausenden der buntesten Blumen. Da stand der tiefblaue Enzian, Vergißmein- nicht so tiefdunkel wie das Meer, gelbe gefüllte Wiesenrosen, wer kann sie alle nennen, die vielfälti- gen Blumen und Kräuter, die hier oben in der berg- hohen Einsamkeit ihre glühenden Kelche entfalteten

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liebsten Anmut und düftedurchwobenen Blumen- pracht, Fels und Gestein, feuchte Wände, steile Klip- pen und zackige Grate, eine blühende Wiese, ein mur- melnder Silberbach und dann ein Blick in die Weite, als könne man die Welt mit seinen Augen überflie- gen — wo findet man eine solche Vereinigung wie- der, und wann ja wann werde ich dergleichen wiedersehen! Ein Glück am Ende, daß der N^el wieder kam, sonst hätte es mir gehen können wie dem Ritter Toggenburg, imd statt heute hier m Creisau zu sitzen und schwache Abklatsche schöner Bileb- nisse auf das Papier zu zirkeln, säße ich vielleicht noch immer da oben und würde sitzenbldLben und staunen und schauen, bis mir die Winterkälte über das warme Blut gekonunen wäre, bis mir die Blicke erstarrt und gefroren wären, bis ich nach Jahr und Tag den Reisenden als Merkwürdigkeit gezeigt wor- den wäre, als mißgeformter Stein, als Felszacke oder wer weiß wasi So also kam er gekrochen wie ndl tausend Füßen, wand sich lun die Felsecken, wickelte uns ein, blies ims kalt ins Gesicht und scheuchte mich aus stummem Staunen auf. Wir stiegen in dichtem Nebel weiter den Höhen zu. Jetzt hörte jeder Weg und Steg auf, eine Viertelstunde, nachdem wir den Blumengarten verlassen hatten, trat imser Fuß schon auf das erste Schneefeld. Weiter ging's über riesige Felsblöcke, über die wir kletterten und spran- gen imd unter denen unsichtbar, aber in der Tiefe laut brausend das Wasser dahinfloß. Glücklicherweise fiel ich nicht hin, sonst hätte ich mir sicher ein Bein gebrochen, doch wenn im Reisehandbuch steht: »Daa Wort ,Weg^ ist aber hier nur sehr euphemistisch zu verstehen, denn es gehört eine Gemsjägerg^wandt- heit dazu, diese Granitblöcke zu erklettern und Klüfte zu übersetzen« und weiter: »Das Panorama ist zwar

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Wir warteten eine Viertelstunde, ob nicht der Ne- bel einen Moment verziehen werde, aber er blieb un- beweglich, undurchdringlich. So mußte ich denn die Aussicht aufgeben, imd wir machten uns an den Abstieg. Das war noch schwieriger wie der Aufstieg. Zuerst mußte mir mein Führer hier imd da den Fuß zurechtsetzen, während ich auf den Händen und mit Erlaubnis zu sagen Stück für Stück hinunter- rutschte. Später ging es besser und kam ich allein vorwärts, doch oft noch kamen Stellen, wo ich das Bewußtsein hatte, daß ein falscher Tritt mich ret- tungslos in die Tiefe stürzen würde. Nach einer halben Stunde war ich doch so sicher geworden, daß ich mit Leichtigkeit meinem gewandten Führer fol- gen konnte, der mir denn auch das Zeugnis aus- stellte, daß ich sehr viel Anlage zum Steigen hätte und er mir sehr riete, die Besteigung der Gerlsdorfer Spitze zu unternehmen, der schwierigsten und hals- brecherischsten Partie im ganzen Tatra. Allmäh- lich kamen wir in immer dichter sich lagernden Ne- bel auf das mit Granitblöcken übersäte Feld zturOck. Unterwegs scheuchten wir ein Rudel Gemsen auf, die in wilder Flucht über die scharfen Grate dahin- stäubten. Man sah sie nicht, hörte nur den scharfen Schlag der Hufe auf dem Fels, kleine Steine und Ge- röll lösten sich unter ihren flüchtigen Füßen und rollten, sprangen und hüpften in hundert Aufschlä- gen kollernd und polternd in die Tiefe. Erst nach einer Weile kam der Ton zu uns herauf, wie sie un- ten klappernd aufschlugen oder platschend ins Was- ser stürzten. Nach zehn Sekunden war alles wie- der totenstill, nur der Nebel tun uns her, kein Ton eines lebenden Wesens in der erhabenen Stille der Bergesriesen. Dann stieß mein Führer einen lang- gezogenen Juchzer aus, wir standen und lauschten.

und legte mich zu Bett! Ich mußte es machen wie weiland Kato, wenn seine einzige Toga, waa übri- gens nicht zu oft vorgekommen sein soll, zum Wa- schen gegeben war!

Onkel Helmuth war imten im Kaff eehaus^ es war 3 Uhr. Eben war ich warm geworden, kam er zurück, imd nun fing mein Leiden an! Es regnete immer ruhig weiter und er setzte sich mit einem Buch zun Lesen. Mit der Zeit wurde es ihm langweilig, daß ich im Bette lag, und er fing an mich zu intrigieren, dafi ich aufstehen soUte. ^ Glücklicherweise hatte idk ja von L. Hemden und Unterzeug mit, soweit ging es idso ganz gut, dann aber konnte ich nicht in meine nas- sen Schuhe hinein. Die Küche war wie gewöhn« lieh ]>ge8perrt<c, Feuer zimi Trocknen gab es also nicht Mit unsägUcher Mühe klemmte ich endHeh meine Füße, die doch von dem ungewcdmten Stei- gen etwas geschwollen waren, in das nasse Lader hinein, konnte aber die ersten fünf Minuten keinen Schritt darin machen. Dann sollte ich ein Paar Hosen von Onkel Helmuth anziehen, die mir bis halb unter die ICnie reichten imd die ich über dem Bauch nicht zukriegen koxmte. Onkel Helmuth behauptete zwar, sie säßen wie angegossen, das will ich schon glaiH ben, nur daß der Guß ein gut Stück zu kurz und zu eng geraten ist! Dazu zog ich L.s Sonunerpaletot an, der in Weite und Länge das wieder gutmachte, was die Beinkleider verbrachen, und so sollte ich mit On* kel Helmuth hinuntergehen, um zu Abend zu essen i Energisch weigerte ich mich indessen« Naß wie sie waren, zog ich meine eigenen Sachen wieder an und tröstete mich mit dem Gedanken, daß sie an mei« nem Leibe am ehesten trocknen würden. Inzwiaehen hatte Onkel Helmuth beschlossen, auf seinem Zim- mer Tee zu trinken, imd ich ging, naß und kühl bis

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in Neiße, den nächsten Morgen um 6 Uhr ging es weiter, um Z2 Uhr waren wir in Creisau wo ich meinen Koffer vorfand! So endete also unsere kurze Reise, die trotzdem eine Fülle der herrlich- sten Erinnerungen mir gebracht hat Die Blumen, welche ich hier oben eingeheftet habe, schickt Onkel Helmuth Dir. Er selbst ist einen steilen Berg hinab- geklettert, um sie zu pflücken, hat sie selber mitge- nommen, getrocknet imd mir hier gegeben mit den Worten : »Wenn du an Eliza schreibst, grüße sie von mir und schicke ihr dies Bukett aus dem Tatra.€ Ich war so gerührt über den alten Herrn.

Creisau, 2. August x88i.

Heute haben Onkel Helmuth und ich einen langen Ausflug gemacht, er mit der Baumschere, ich mit einer Säge bewaffnet, und haben furchtbar unter den j ungen Schößlingen gewütet I

Generalstab Berlin, 2g.August z88x«

Ein Generalstabsoffizier, der nicht im Terrain rei- ten kann, ist nicht zu gebrauchen, und da ich bisher nicht reiten gekonnt habe, muß ich es jetzt lernen. Daß ich mein Genick dabei riskiere, weiß ich wohl, aber lieber den Hals brechen, als auf einem Posten stehen, den man mit Bewußtsein nicht ausfüllen kann. Ich muß reiten können und 'werde es lernen, und sollte ich noch hundertmal stürzen, das hilft nun ein» mal nicht

Die Manöverluft fängt schon an zu wehen und mu- tet mich eigentümlich an. Man sehnt sich hinaus aus den engen vier Wänden, hinaus ins freie frische Feldleben unter lebendige Soldaten, unter Schweiß und körperlicher Mühe statt dieser papierenen Ar- meen, die einem täglich dasselbe langweilige Zahlen-

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Itzehoe, 13. September z88x.

Ich kann Dir gar nicht sagen, wie unendlich wohl ich mich fühle in diesem frischen, regen Manöver- leben. Mitten unter den Truppen, in freier Luft, im Gefecht, alles sehend, beobachtend, und nicht im beschränkten Gesichtskreise des Frontoffisiers. Zu Pferde, dahin, wo die Hauptmomente des Gefechts sich abspielen, kritisierend, prüfend und beurteilend, es ist zu schön. Nur das Quartier müßte etwas schlech- ter sein, ein Strohsack oder Biwak, kein Federbett un4 dann etwas mehr Gefahr. Mit einem Wort, ein rich- tiges Gefecht, ein wirklicher Feldzug, und dann möchte ich selber nach meinen eigenen Ideen das Gefecht leiten! Und wenn das nicht, nur ein Moment, wo man einmal wieder das Pfeifen der Kugeln hörte und den Erfolg mit Blut \uid Eisen dem Feinde abringen müßtet Wie das arabische Pferd den heißen Hauch der Wüste, so atme ich in langen, tiefen Zügen den Pulvergeruch ein. Hier ist mein Element, hier mein Leben, Fühlen und Denken. Mit tausend Freuden würde ich einen Feldzug begrüßen luid mit wahrer Wollust mich in das Kriegsgetümmel stürzen. Was gibt es Schöneres als das Soldatenleben. Der Mann, der auf seinen eigenen Füßen steht, dem Feinde ge- genüber, und nun beginnt der Kampf auf Tod und Leben. Du mußt das aber nicht so ernst nehmen. Ich habe die Nase noch voll Pulverdampf, und das be- rauscht mich immer wie junger Wein. Doppelt aber fühlt man sein inneres Leben pulsieren. Alle Nerven angespannt, alle Sinne geschärft, du schönes, herr* liches Kriegsleben I Ich glaube, ich bin zum Feld* Soldaten geboren, und danke Gott, daß er mich in eine Karriere gebracht hat, in der man in überfließen- der Berufsfreudigkeit sein Herz schlagen fühlt«

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rechtschaffene, treue alte deutsche Ehe, das feste Zu- sammengehen zwischen Mann und Frau, wiederher- gestellt werden müsse, brach ein imendlicher Jubel, ein minutenlanges Händeklatschen und Bravo aus. Man bekam den Eindruck, daß alle diese Männer, Arbeiter \uid Kaufleute, mit ganzem Herzen danach streben, ein nationales Deutschland wiederaufzurich- ten. Gegen Ende der zweistündigen Rede wurde Stöcker etwas zu salbungsvoll und geriet zuletzt völ- lig in den Kanzelton. Das ist schade, die erste Hälfte war stellenweise von wahrhafter Schönheit und oft Hinreißend«

Generalstab Berlin, 26. September x88x.

Ich habe jetzt eine Arbeit, die mich sehr interes- siert, nämlich eine Berichterstattung anzufertigen über die diesjährigen österreichischen großen Manö- ver. Man muß sich aus Zeitimgsnachrichten und mili- tärischen Blättern das Material zusammensuchen, was ziemlich mühsam ist. Es ist mir privatim gesagt wor^ den, daß ich im Winter die Sektion Skandinavien als Sektionschef übernehmen sollte, doch kommt mir dies unwahrscheinlich vor, da imsere Hauptleute noch nicht Sektionschefs sind, und ich bin doch noch im« mer der ewige Premierleutnant.

Onkel Helmuth ist mit seinen Offizieren in einem Zuge von Schleswig nach Eckemförde geritten, eine ganz tüchtige Leistimg I Wie gerne hätte ich diese Reise mitgemacht! Doch man muß nicht zuviel ver- langen.

*Ragaz, 26. April 1882.

Wie Du siehst, sind wir nun hier eingetroffen, aber nur um morgen oder übermorgen bereits wieder ab-

P«n9iilicb«r A4iataot dM OMicnlCildaianclBaUs Oraf Hsimath too MoMm «atf Hauptflaaim im Orofttn 0«a«ratotab.

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Haupttunnel, der unter dem Gotthardt durchgeht, an- fängt Bis dahin hatten wir Gelegenheit, die koloa« aalen Bauten zu bewundem, welche ausgeführt sind, um diese Bahnstrecke zu ermöglichen. Auf himmd« hohen Viadukten übersetzt die Bahn tiefe Abgrttnde, um in Timnel hinter Tunnel zu verschwinden und wieder zu erscheinen. Zweimal macht sie eine voll- ständige Schleife, d. h. geht über sich selber weg| so daß die beiden Tunnelöffnungen genau übereinander liegen. Es ist wirklich ein Riesenbau, der hier aus- geführt ist, und man weiß nicht, was man mehr an- staunen soll, die gewaltigen Formen, welche die Na^ tur hier geschaffen, oder die Kühnheit der winzigen Menschen, welche alle diese Felswände durchbohrte, diese Abgründe überbrückte und einen dünnen Bi- senweg mitten durch das Herz der mächtigen Bexg- riesen hindurchzog. In Göschenen sdegen wir in die Bahn und vertieften uns gleich nach dem Anr fahren in die Nacht des Gotthardt -Tunnels. Die Lam- pen waren angesteckt und so war es genau dasselbe, als ob man in der Nacht führe. Nur wenn man das Fenster öffnete, strömte die dunstige erstickend warme Luft hinein und erinnerte daran, daß die Ar- beiter bei Bohnmg des Tunnels unter einer Hitze bis zwanzig Grad zu leiden hatten! Die Fahrt dauerte fast dreiviertel Stunden. In der Mitte des Tunnels ward einen Moment gehalten und es sah eigentüm- lich aus, wie bei Fackellicht die Bahnarbeiter sich bewegten, während ihre flackernden Schatten in gro- tesken Verzemmgen an der dunklen Wölbung dahin- huschten. Bei Airolo tauchten wir plötzlich wieder in den Sonnenschein der offenen Landschaft hinaus. Die Augen mußten sich erst an das Licht gewöh- nen. — Nun ging es wieder auf die Post, eigentlich wollten wir in Biasca übernachten, da wir aber ein-

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kamen. Wir waren also achtzehn Sttmden unterwegs« Da vonChiavenna die Post über den Splügen um a Uhr nachts weitergeht, blieben wir die Nacht dort, und fttr den nächsten Morgen 6 Uhr war Extrapost bis Splügen bestellt. Jetzt hatte ich eine Flasche Wein und etwas kalte Küche heimlich in den Wagen geschmug« gelt und hatte den festen Entschluß gefaßt, Onkel Helmuth nötigenfalls auf der einsamen Landstraße unter Anwendung von Gewalt zmn Essen zu zwingen! Unter herrlichem Sonnenschein fuhren wir berg- an. Diese Straße ist mit das Schönste, was ich ge* sehen. In tmglaublich steilen Serpentinen steigt sie hinan und eröffnet immer neue Blicke in das Tal und auf die weißen Bergeshäupter, welche vor uns lagen. In der Nacht hatte es oben geschneit und der Schnee lag bis tief in die Täler hinab auf den grünen Blättern der Nußbäume, die hier unten eben anfingen auszu* schlagen. Alles erstrahlte im Sonnenschein, aber der hohe Gipfel des Splügen war in eine kleine graue Wolke gehüllt imd unser Kutscher schüttelte bedenk- lich den Kopf und meinte, oben würde es nicht sau- ber hergehen I Um 12 Uhr mittags waren wir an der Schneegrenze und mußten nun den Wagen ver- lassen, mn in einen kleinen Schlitten gepreßt zu wer- den. Hier frühstückten wir auch von den mitgenom- menen Vorräten. Gut, daß ich etwas mit hatte t Unser eines Pferd wurde vor den Schlitten gespannt, das andere lief wie ein Hund ganz von selber hinterher. So ging es über den Paß fast zwei Stunden im Schnee. Je höher wir kamen, desto ungemütlicher wiurde es. Ein heftiger Wind pfiff uns entgegen, dabei schneite es ziemlich stark, stellenweise war es bitter kalt. - Dann wieder kamen wir an eine geschützte Stelle, wo plötzlich die Sonne schien, so grell, daß man kein Auge öffnen konnte, und so heiß, daß man ihre Strah-

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Was sagst Du zu \mserer »kleinen Vergnügung^ reise an die oberitalienischen Seen mit einiger Zeit Aufenthalt an irgendeinem schönen Punkt«, wie On* kel Helmuth dieselbe vorher bezeichnete? Sollte man glauben, daß er zweiundachtzig Jahre zählt? »Aberc sagt er »wenn man so mit allem Komfort reisen kann, wie wir es machen, dann kann es nichts Be» quemeres geben!«

Wildbad Gastein, 2. August z88a.

Nim sind wir denn glücklich hier. Wir haben viel Schönes gesehen, irnd ich habe daneben auch schon manchmal meinen gründlichen Arger gehabt, wie Du Dir denken kannst, ohne diesen geht ja eine Reise mit Onkel Helmuth nun einmal nicht abl Meine Karte aus Wien wirst Du erhalten haben. Am näch- sten Tage fuhren wir nach Ischl, eine prächtige Tour an dem Ufer des lieblichen Traunsees entlang, leider unter beständigem Regen. Nachmittags kamen wir daselbst an, logierten uns im Hot<el »Blisabethc ein, demselben, in welchem eine Szene aus Ouidas »Mo^ ten« spielt, auch der Balkon, auf dem Correz saß und seine Stimme ertönen ließ, war richtig da, darunter die brausende Traiui. Alles stimmte! Nachdem wir gegessen, machten wir einen langen Spaziergang in die schönen Umgebungen dieses reizend gelegenen Ortes. Bei Tisch saß neben uns die Wegner vom Wallner-Theater, der »jüngste Leutnant«, über deren auch im Zivilverhältnis beibleibende Komik Onkel Helmuth und ich uns höchlich ergötzten. Sie stih dierte Onkel Helmuth offenbar, ich fürchte, sie bringt ihn nächstens auf die Bühne I

Am andern Morgen fuhren wir bis Aussee, wo wir abermals unter strömendem Regen die Umgebung abspazierten, dann aßen und nach Tisch weiter fuh*

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wirklich wunderbar schön. Sie kommt sechshundert Fuß hoch in einer ganz engen Schlucht herunterge- braust, lauter weißer Gischt und Schaum. Gerade vor unserem Fenster stiirzt sie in ihr Becken mit donner- ähnlichem Brausen hinab. Über dem Becken steht haushoch eine Wolke von Wasserstaub, in welchem sich der Dampf der hinabströmenden heißen \Vas8er mischt Die schneebedeckten Gipfel der Berge hoben sich herrlich gegen den tiefblauen Himmel ab, wie es einen Moment aufklärte, leider nur so kurze Zeit. Onkel Helmuth läßt Dich bitten, doch recht viel über Creisau, Wetter imd Ernte zu schreiben. Er will acht- zehn Bäder nehmen.

Wildbad Gastein, 4. August 1882.

Onkel Helmuth war sehr erfreut über die Mitteilun- gen betreffend Wetter und Ernte. Wir leben hier ruhig weiter. Morgens um 7 Uhr nimmt Onkel Helmuth sein Bad und liegt darauf noch zwei Stxmden zu Bett Dann trinken wir Kaffee imd lesen die Zeitung, worauf wir etwa um V^ix Uhr auf die Promenade gehen, dem Kaiser begegnen, der auf irgendeiner Bank sitzt und Onkel Helmuth immer sehr freundlich begrüßt Um 2 Uhr essen wir zu Mittag, dann trinken wir irgendwo Kaffee und spazieren wieder bis 8 Uhr, wo wir in Onkel Helmuths Zinmier Tee trinken und dann bis xo Uhr Patiencen legen. Heute nachmittag nahmen wir einen kleinen Einspänner und fuhren nach einem Ort Bockstein, der eine halbe Stunde höher im Gebirge liegt Von dort gingen wir zurück. Unterwegs erklärte Onkel Helmuth, die Hauptsache bei der Kur sei, daß man sich ganz ruhig verhalte und sich nicht anstrenge. Dabei waren wir den Morgen schon zwei Stunden bergauf und -ab geklettert und gingen nun eine Sttmde zurück. Er war ganz ermattet, und ich habe ihn ge- ize

anfängt schlechter Laune zu werden, gehört nicht au den größten Annehmlichkeiten! Gestern aßen wir beim Kaiser. Heute fuhr er mit seinem ganzen Ge- folge ab. Den Moment, wo er von dem gesamten Bade mit Hochrufen begleitet abfuhr, schien die Sonne, zehn Minuten darauf regnete es wieder losl

Wildbad Gastein, 14. August 1882.

Onkel Helmuth will nicht länger als bis zum zg. hierbleiben. Er will dann, wenn es schön Wetter ist, noch eine Tour von einigen Tagen nach Berchtes- gaden, dem Königsee, Reichenhall, Salzburg machen und beabsichtigt, etwa am z. September in Creisau einzutreffen. Doch kenne ich diese Vergnügungs- touren schon, die auf acht Tage projektiert und dann in ein oder höchstens zwei Tagen durchrast werden I Gestern habe ich ein Schachspiel gekauft und mit Onkel Helmuth eine Partie Schach gespielt. Da ich ihn nach heißem Kampf matt setzte, erklärte er, das Spiel rege ihn zu sehr auf, imd wir kehrten zur Be- ruhigimg zu der Patience zurück I Diese Nacht hatte er schlecht geschlafen, wie er sagte, noch izifolge der Aufregimg vom Schachspiel herl Sonst geht es ihm ausgezeichnet. Die Kur bekommt ihm sehr gut, er geht jeden Morgen zwei bis drei Stunden ohne Beschwerden und sieht vortrefflich aus.

Dresden, Palais, zy.September z88a.

Diesen Brief habe ich schon dreimal unterbrechen müssen. Inzwischen sind wir mit dem Kaiser, dem König und dem ganzen Rummel bei Professor Schil- ling gewesen, wo wir den Gipsentwurf zu dem Na- tionaldenkmal auf dem Niederwald sahen, dann Ka* Semeninspektion in der Albrechtstadt und großes

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haben, es war dies ein Krosigk. Nach einigen Jahren fand man dann zufällig bei einem Umbau den ver- mißten Ring in einem Rabennest auf einem der Türme. Zur Entschädigung schenkte der Bischof dem Bru- der des Enthaupteten ein ansehnliches Gut, auf dem jedoch die Verpflichtiuig haftet, zum Andenken an den unschuldig Gerichteten auf der Burg einen Raben zu unterhalten. Gleichzeitig bekamen die Krosigks einen Raben, der einen Ring im Schnabel trägt, ins Wap- pen. Dieser Rabe wird noch immer in einem großen Käfig gehalten. Wenn er stirbt, muß er sofort ersetzt werden, da an seiner Unterhaltung der Besitz des noch in der Familie befindlichen Majorats hängt.

Im Dom ist eine prachtvolle Orgel, die die ganze HöhedeseinenSchiffsflügels einnimmt, einige schöne alte Eichenschnitzereien und das unschöne Bronce- grabmal des Kaisers Rudolph, der von der früher ka- tholischen Bevölkerung für einen Heiligen gehalten worden und an einigen Stellen ganz blank geküßt worden ist. Sonst ist an der Stadt selbst absolut gar nichts zu sehen. Gottlob ist der heutige Ruhetag bald überstanden, und morgen gehen die Manöver wie- der an.

Merseburg, i8. September 1883.

Soeben kommen wir müde und bestaubt vom Ma* növerfelde zurück. Das Manöverleben ist von je* her meine höchste Lust gewesen. An den Tagen^ wo Goßler mit Onkel Helmuth zum Diner geht, esse ich mit den Kameraden zusammen und sitze abends mit ihnen in der Kneipe, Bier trinkend und Anefe doten anhörend, was ich richtig genieße, nachdem ich so lange keinen Soldatenmenschen mehr gesehen und mit keinem Kameraden mehr mich harmlos und ungezwimgen habe unterhalten können. Onkel Hei*

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Er war zuerst in bayerischer Unif orm, die ihm nicht gut stand, in spanischer sieht er viel besser aus. Er ist ein kleiner eleganter Herr mit ein klein wenig jü- dischem Typus. Der König von Serbien, größer und ziemlich dick, sieht nicht sehr vornehm aus. Die Kaiserin sieht sehr wohl aus. Sie ist stärker gewor- den, was ihr gut steht, und wohnt den Manövern im Wagen bei. Während des Regens hält sie unbeküm- mert ohne Schirm im offenen Wagen und läßt sich naßregnen, ebenso wie der Kaiser, der in jugendlicher Frische allen Unbilden des Wetters trotzt. Außerdem wimmeln hier eine Menge von Hoheiten imd König- lichen Hoheiten umher, von denen man früher nie etwas gehört hat Diniert wird in den prachtvollen Sälen des Kurhauses, in denen in früheren Zeiten die Bank gehalten wurde. Das Schloß ist klein und un- ansehnlich, überhaupt Homburg ein kleiner, wenig schöner Ort Die Umgegend ist hübsch, mit stellen- weise schönen Blicken auf die Taunuskette, der Bo- den außerordentlich fruchtbar. Eigentümlich berühren einen die rot imd weißen Grenzpfähle des hessischeii Gebiets. Onkel Helmuth befindet sich

Homburg, 24« September 1883.

Crestem nach dem Offiziersrennen fuhr ich mit im- serem Wirt auf die eine halbe Stunde entfernte, auf einem Gebirgssattel liegende Ruine der Saalburg. Im höchsten Grade interessant. Es sind die Oberreste eines alten befestigten römischen Lagers, welches etwa im Jahre 30 vor Christi gebaut und über drei- hundert Jahre besetzt gehalten worden ist. Das Ganze ist in Form eines Rechtecks gebaut, von einem hohen Wall umgeben, mit gemauerter Brustwehr und dop- peltem Graben. Vier Tore führen hinein, jedes von zwei Türmen flankiert. Alle Grundmauern sind noch

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bezeichnet, von der der heilige Nepomuk in die Mol- dau gestürzt wiu-de, nachdenklich in die rauschenden Fluten, konnten aber nichts besonderes bemerken. Vielleicht war das Wasser, welches gerade unter uns dahinbrauste, dasselbe, das einst dem Heiligen in Mimd und Nase drang, imd nun, im ewigen Kreis- lauf wiederkehrend, nachdem es im Meere verdun- stet, als Wolke aufgestiegen, von Pflanzen aufgeso- gen, sich in allen möglichen Tier- luid Menschen- leibem umhergetrieben, als Regen zum tausendsten Male niedergeschlagen, jetzt gerade wieder hier vor- beifloß. Wer weißl Wir gingen bis an den alt- ehrwürdigen Hradschin, schwenkten dann links, ver- loren uns in luizähligen Gassen luid Gäßchen und tauchten endlich an der Kettenbrücke wieder auf, die weiter stromauf über den Fluß zur alten Stadt zu- rückführt. — Hier wurden wir in Verlegenheit gesetzt, als wir pro Person einen Kreuzer Brückengeld be- zahlen sollten und über keinen Kreuzer österreichisch Geld verfügten. Ein Fünf zigpf ennigstück, das ich an- bot, wurde zurückgewiesen, und wir hätten den gan- sen langen Weg zurückspazieren müssen, wenn nicht der edle Tscheche, der als Einnehmer fungierte, zu stolz, um seine Hände mit deutschem Gelde zu be- flecken, ebenso großmütig wie national gewesen wäre und uns umsonst hätte passieren lassen. Dieser merk- würdige Beweis, daß es auch unter den Tschechen großdenkende Menschen gibt, söhnte uns mit der Be- merkung aus, die wir auf unserem Gange durch die Stadt gemacht hatten, daß das deutsche Element aus Prag mehr und mehr verschwindet, daß fast alle In- schriften tschechisch sind und nur noch hin und wie- der wie halb mitleidig verstohlen die deutsche Ober- setzimg hinter den tschechischen Hierogljrphen steht Eine Nation, die, wie gesagt, so großdenkende Män-

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sichtsloser Beiseitelegung jedes Inkognitos im »Bay- rischen Hof« Wohnxing nahmen. Nächsten Mor- gen fuhren wir über den See nach Rorschach und von dort mit der Bahn hierher, wo wir mittags 2 Uhr ankamen. Ich hatte sehr recht, Onkel Helmuth su raten, hierher und nicht nach Gastein zu gehen. Die Freude des Herrn Kinberger über Onkel Helmuths Ankunft war wirklich rührend, er vertraute mir an, daß ihm ordentlich das Herz geschlagen habe vor Freude, wie er Onkel Helmuth gesehen habe, und der Gärtner Joseph, eine berühmte Persönlichkeit, habe vor Freude förmlich Luftsprünge gemacht. Sehr amüsant war es, wie Onkel Helmuth abends 7 Uhr zur Table d'höte erschien. Es ist hier eine ganze Ko- lonie von Franzosen, die ziun Teil vor der Cholera geflüchtet sind, und mit ungeheucheltem Interesse wurde Onkel Helmuths Persönlichkeit von ihnen be- staunt.

Ragaz, 12. August 1884.

Gestern machten wir eine Tour in die Berge nach einer alten Ruine, dem Wartenstein, in deren Nähe ein spekulativer Unternehmer eine Restauration auf einen überhängenden Felsen geklebt hat. Onkel Hel- muth fuhr mit der Bahn hinauf, imd ich ging zu Fuß, wobei ich eine Viertelstunde vor ihm oben anfcam> Dann ging ich noch eine halbe Meile weiter, um zu der sogenannten Naturbrücke zu gelangen, d. h. der Stelle der Tamina-Schlucht, wo sich dieselbe oben vollständig geschlossen hat, so daß man darüber hin^ weggehen kann. Um von der oben auf dem Berge hinführenden Chaussee dorthin zu kommen, steigt man eine fast senkrecht abfallende Felswand auf ei- ner Art von Treppe hinab, die über vierhundert StiH f en, teils in den Fels gehauen, teils aus Tannenstäm«

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kel Helmutfa höchst interessante Neuigkeit mit, daß Onkel Hehnuth zur Zeit todkrank auf seinem Ghit Creisau läge, wo er nur von seinem Neffen Burt, der wie er einem der zahlreichen kleinen mecklenburgi- schen Adelsgeschlechter enstanune. Besuch emp- finge, man erwarte mit Besorgnis sein Abscheiden. Der Artikel wirkt um so drastischer, da er aus Inier- laken geschrieben ist, also demselben Lande, dem Onkel Helmuth durch seine Anwesenheit einen greif- baren Beweis seines Wohlseins gibt Der Verfasser erhebt die Glaubwürdigkeit seiner Mitteilungen da- durch über allen Zweifel, daß er sie einer Unterhai- timg mit einem Obersten des Preußischen General- stabes entninunt, den er die oben angeführte Mittei- lung mit den Worten beschließen läßt: Der Wille Gottes geschehet Auch das Neue verdankt er die* sem pfiffigen Oberst, daß Onkel Helmuth auf einem Bein lahm sei und dasselbe nur mühsam nachziehe, und daß er bei Paraden mit Vorliebe einen Kürafi trage, der auf ihm schlottre wie auf einem Skelcstt, während Bismarck inuner vor ihm reitet und ihn da- durch, daß er sein Pferd vor ihm stallmeistert, von dem Kaiser abzudrängen versuche, an den Onkel Hel- muth sich heranmachen möchte etc. Den hier an- wesenden Badegästen scheint diese Farce auch viel Spaß zu machen, wenigstens geht der »Figaro« unab- lässig von Hand zu Hand.

Gestern machte ich eine sehr schöne, wenn auch ziemlich anstrengende Tour. Um 9 Uhr fuhr ich nach Chur, von wo ich zu Fuß in dem reizenden Tal der Rabiusa hinaufging bis Passug, von dort weiter bis Churwalden, wo ich zu Mittag aß, und dann, da die Post erst in eineinhalb Stunden ging, mit der ich nach Chur zurückzufahren gedachte, machte ich mich, des langen Wartens müde, auf und ging zu

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schon an, die Rückreise aus dem Kursbuch herau»? zustudieren und hat offenbar von seinem hiesigen Aufenthalt mehr als genug. Ich kann auch nicht leug- nen, das mein Bedarf an Bergluft vollständig gedeckt ist Ich sehne mich ordentlich danach, einmal wieder ein Pferd zu besteigen.

Ragaz, 25. August 1884.

Onkel Helmuth hat mir wieder ein paar reizende Geschichten gemacht, die ich in aller Kürze mitteile, denn zu längerem Schreiben fehlt mir Zeit und Ruhe. Erstens: Vor einigen Tagen saßen wir mor- gens im Garten, als er mir sagte, er hätte Lust, nach der Ruine Wartenstein hinaufzugehen. Da es etwas anstrengend zu steigen, könnten wir langsam den die hinaufführende Chaussee kreuzenden Fußweg gehen und unterwegs die Post abfassen, die um zo Uhr hin- auffährt Dann gab er mir Geld, mit dem Auftrag, es zu wechseln. Ich gehe also aufs Bureau, er bleibt auf der Bank sitzen. Wie ich nach zehn Minuten zu- rückkomme, ist er nicht mehr da. Dies wunderte mich nun eigentlich nicht, denn ich hatte, wie ich ihn kenne, nicht erwartet, ihn noch auf demselben Platz vorzufinden. Ich mache mich also resigniert auf die Suche, diu'chstreife den Garten, das I^ese- zimmer, suche ihn auf seinem Zimmer, nirgends eine Spur von ihm. Ich denke also, er ist vielleicht schon voraufgegangen, gehe also im Geschwindschritt den steilen Fußsteig hinauf, finde ihn nicht, denke, so weit kann er unmöglich sein, kehre um, suche noch- mals die ganze Umgebung ab, frage Portier und Kell- ner, kein Mensch hat ihn gesehen. Inzwischen ist es fast zehn Uhr geworden, ich denke mir, wenn er die Post noch hat abfassen wollen, m u ß er schon weit oben sein, renne also wie ein Hirsch, die Krttnmiun-

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stehen können.« Ich sage : »Ja, wenn ich nur ein Wort davon gewußt hätte, daß wir nach Glarus fahren soll- ten!« Nach einigen Schritten sagt er: »Du hättest auch wohl den Baedeker mitnehmen können und dich er- kundigen, ob wir wieder Anschluß zurück haben.« Ich erkläre, beides noch nachholen zu wollen, kehre um, laufe ins Hotel, hole den Baedeker und renne wie- der hinter ihm her. Ich begreife nicht, daß ich ihn nicht sehe, bis ich ihn schließlich ganz klein in der Feme auf einem falschen Wege entdecke. Nun ging ich aber ruhig an den Bahnhof und wartete ihn ab. Er kam denn auch fünf Minuten vor Abgang des Zu- ges, halbtot vor Asthma und noch immer ärgerlich auf mich, daß ich diese Reise, von der ich kein Sterbens- wort wußte, so mangelhaft vorbereitet habe. Den in mir auftauchenden Gedanken: , Warum hast du, als du an meine Tür klopftest, mir nicht ein Wort ge- sagt?^, sprach ich nicht aus! Übrigens ist er inmier reizend liebenswürdig, und als wir nun glücklich mit Retourbillett I. Klasse im Zuge saßen, mit der Gewiß- heit, Anschluß zur Rückkehr zu haben, war seine gute Laune sehr bald wieder da.

Benrath, 17. September x884.

Wir haben gestern unseren ersten Manövertag mit* gemacht, der sehr hübsch verlief. Am Montag abend kamen wir hier an, haben ein sehr gutes Quartier bei dem Bürgermeister Josten gefunden. Wir fuhren den nächsten Morgen um 7 Uhr per Bahn etwa eine Stunde über Düsseldorf nach Bedburg, wo die Pferde bereitstanden. Ich habe einen Ulanengaul bekommen, der ausgezeichnet geht, wenngleich etwas klein für mich ist. Onkel Helmuth ritt auf der ausgezeichnet gehenden Stute sehr schneidig, so daß er allgemeine Bewundenmg erregte. Die Truppen waren ausgezeich-

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in Erfahrung gebracht, daß m diesem Hause nur eine Magd ist, die nur patois spricht, also nichts von den strategischen Arbeiten verraten kann, die in Onkel Helmuths Zimmer angefertigt werden, wenn sie dort aufräumt! Dann wird mitgeteilt, daß der deutsche Kon- sul eifrigst Karten und statistisches Material für den Peldmarschall herbeischleppe (in Wirklichkeit hat er ihm einige Hefte »Fliegende Blätter« zur Unter- haltung geschickt) und das Bedenklichste ist, daß eine Menge deutscher Offiziere hier sind, die mit einer solchen gegen alle deutschen Gewohnheiten versto- ßenden Großartigkeit der Mittel auftreten, daß sie of- fenbar vom Staat ausgerüstete Generalstabsoffiziere sind. Also die Sache ist klar, Moltke ist hier mit einem Teil seines Generalstabes, und der Zweck ihrer An- wesenheit ist dem schlauen Berichterstatter auch nicht verborgen geblieben: es ist auf Corsica abge- sehen, das zur deutschen Kolonie gemacht werden soll. Es ist wirklich amüsant, diese hirnverbrann- ten Kombinationen zu lesen, man glaubt, Privatkorre- spondenzen aus dem Irrenhaus vor sich zu haben!

Nervi, Z7« April zBQs«

Wer hätte geglaubt, daß sich nach all dem Säb^ gerassei England und Rußland nun doch noch fried- lich einigen würden. Sie machen mir gerade den Bin- druck wie zwei Hunde, die sich mit grimmigem Zähnefletschen gegenseitig anknurren tmd dann mit gesträubten Rückenborsten auseinandergehen, weil keiner sich traut, den ersten Biß zu tvm.

Rapallo,24.April iSBs.

Wir befinden uns noch immer sehr wohl in dem schönen Rapallo, in dessen Umgebung wir täglich neue Schönheiten entdecken. Die Gegend hier ist des*

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seine Cottage baute und nun> umgeben von aUem Komfort seines aus der nebeligen Heimat mitgebrach- ten Lebens, vergnüglicli über Land und Meer schaut. An den geborstenen Quadersteinen klettert der Efeu empor, und von den Ecktürmen, von denen einst der Arkebusier Tod und Verderben dem Angreifer her- untersandte, nicken jetzt unzählige Rosen g^rüßend herab. Die Natur überkleidet alles mit ihrem ewig jungen treibenden Leben, und über dem zerbröckeln- den Gebilde von Menschenhand schwenkt sie trium«* phierend die grüne Fahne ihres blühenden, duftenr- den Daseins. Mit leisem Gemurmel plaudern die Wellen zwischen den Felsen, als wollten sie Mär- chen erzählen, anmutig wiegen sie die Fischerboote auf ihrem Rücken, deren eigentümliche lateinische Segelformen, von sanftem Wind gebläht, als leuch- tende Punkte auf dem Wasser schimmern und das Auge weit hinauslocken in die unbegrenzt scheinende Feme. Ganz hinten, vom weichsten Duft vermählt^ schmilzt die scheinbar ansteigende Fläche mit der Kuppel des Himmels zusammen, man glaubt zu sehen^ wie sich der Himmel auf die Erde senkt, und jene un- bestimmbare Sehnsucht, die in jedes Menschen Brust liegt, wenn sein Gefühl hinauf und vorwärts dringt, berührt mit wundersamem Klingen das Herz. Wie das alles blüht und duftet! Aus dem üppigen Grase der Wiesenflächen ringen sich Tausende von offe- nen Kelchen empor, gleichsam die eine über die an- dere wegklettemd, duften blaue, rote und gelbe Blu- men der Sonne entgegen, es ist ein förmliches Kämp- fen der überschwenglichsten Üppigkeit ; von den W^- rändern nicken gedrängte Glockenblumen, und wo ein gefälliger Wind eine Handvoll Erde zwischen Steinen zusammengetragen, da hat sich auch e&i Blümlein eingenistet, das, dankbar des gefundenen

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für England um Tod und Leben handelt» denn In- dien ist der Lebensnerv Englands, ohne den es eben- sowenig leben kann, wie ein Mensch ohne Magen. Indessen noch ist ja der Krieg nicht erklärt, und ich glaube, Mr. Gladstone würde gerne seinen kleinen Finger hergeben, wenn er auf eine anständige Weise aus dieser Patsche wieder herauskommen könnte, ohne zum Schlagen genötigt zu sein. Ob Bismarck sich wohl auf das undankbare Amt eines Vermittlers einlassen wird. Er wohl kaum, aber der Kaiser wird es vielleicht wollen.

Straßburg, zi. September 188&

Nun bin ich da in der alten, vielumstrittenen Stadt Es ist doch ein eigenes Gefühl, das einen überkonmit, wenn man in diese nach jahrhundertlanger Entfrem- dung dem Deutschen Reiche zurückgewonnenen Orte kommt. Wieviel Blut ist geflossen vor den Wällen der bisher unbezwinglichen Festung, von der es schon in dem alten deutschen Liede heißt: »O Straß- burg, o Straßburg, du wunderschöne Stadt, darinnen liegt begraben so mancher Soldat«. Und in der Tat, wunderschön ist die Stadt, wie ein mahnend ausge^ streckter Finger winkt der schlanke Turm des herr- lichen Münsters in die rechtsrheinischen Lande, als ob er sagen wollte : Du deutsches Volk, das mich ge- gründet und gebaut, willst du mich nicht wieder heim- führen zu dir? tuid als ein Repräsentant der befolg- ten Mahnung ziehen in diesem Augenblick mit klin- gendem Spiel die verschiedenen deutschen Trup- pen unter meinem Fenster hinaus zur Parade vor dem Kaiser, Preußen, Bayern, Württemberger, Sach- sen, ein bunter Anblick in ihren blitzenden Parade- uniformen. — Ich wohne am Ufer des 111, der sich mit der Aar hundert Schritt weiter mitten in der

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soUen wir nun hinaus zur Parade. Der Himmel ist leicht bewölkt, die Hitze hat etwas nachgelassen, ganz windstill, ein schönes Kaiserwetter.

Straßburg, 12. September 1886.

Heute haben wir einen bewegten Tag hinter uns. Es ist nämlich Sonntag, Ruhetag, den wir benutzten, um uns in und vor der Stadt umzusehen. Wir fuhren erst durch allerlei Straßen nach der Orangerie, einem großen öffentlichen Garten, nach der Zitadelle, ei- nem noch von Vauban, dem Festungsbaumeister Lud- wigs des XIV., gebauten Werk, mit dem dieser die Stadt befestigte, nachdem er mitten, im Frieden die- selbe besetzt hatte. Die Ohnmacht des damaligen Deutschen Reiches war so groß, daß kein ernsthaf- ter Versuch gemacht wurde, dieselbe zurück zu ge- winnen, und die beiden alten Provinzen Elsaß und Lothringen waren seit der Zeit für Deutschland ver- loren. — Die Zitadelle, nach dem damaligen Stand der Belagerungsmittel, ein ungemein festes Werk, ist noch heute imposant diu'ch seine massiven Kon- struktionen, wenn auch, da größtenteils ungedecktes Mauerwerk, gegen den heutigen Angriff nicht mehr auf die Dauer haltbar. Sie liegt aber auch jetzt inner- halb der Umwallung und ist einem solchen nicht mehr ausgesetzt. Dann fuhren wir ein ganzes Stück der neuen Befestigungen ab, bestiegen auch den Wall und besichtigten dann in der evangelischen Kirche das berühmte Denkmal des Herzogs Moritz von Sachsen. Von da in den Dom, wo wir von einem sehr höflichen Priester umhergeführt wurden, der nach hunderten zählenden Volksmenge wegen, die Onkel Helmuth lundrängte, aber wenig sehen konn- ten. Oberhaupt, wo Onkel Helmuth sich blicken läßt,

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genden Fort Moltke gemacht und dasselbe eingehend von innen und außen besichtigt« Es hat mich sehr interessiert, einmal ein nach den neueren Prinzipien konstruiertes Port zu sehen.

* Generalstab Berlin, 24« April x887»

Onkel Helmuth hat sich noch immer nicht darüber geäußert, was er eigentlich vorhat. Ob und wann er abreisen will und ob er dabei auf meine Begleitung rechnet, ist völlig dunkell Ich bliebe natürlich am liebsten hier, bis Du zurückkommst, aber der Hirn* mel mag wissen, wo ich hinverschlage, nachdem ich am Z.Mai mein Kommando niedergelegt habe. Wir haben nun nur noch drei Bzerziertage. Am Montag und Dienstag werden wir auf dem Tempelhof er Felde im Bataillon exerzieren, am Mittwoch ist die Batail- lonsvorstellung. Es wird mir ganz wunderbar vor- kommen, wenn ich wieder ohne Zusammenhang mit der Truppe dastehe, die mir während der Monate meiner Dienstleistxmg doch sehr ans Herz gewacht sen ist

Generalstab Berlin, so.April 1887.

Bei der gestrigen Vorstellung des FüsiUer-Batafl- lons war auch Prinz Wilhelm zugegen. Ich hatte bei dieser Vorstellung Gelegenheit, mich gleich bei allen Vorgesetzten abzumelden. Heute nachmittag übergebe ich nun die Kompagnie an ihren alten Chef G., dessen Hoffnung, Major zu werden, sich nun doch nicht erfüllt hat.

Generalstab Berlin, i.Mai 1887*

Gestern war Liebesmahl und zugleich mein Ab- schied vom Regiment. Der Oberst sagte mir

* KoomiMidiart rar Di4n«tlrtitttac bda 2. Omräm^MgU s. Fnft. 136

Generalstab Berlin, xo.Mai 1887.

Gestern war ich mit Onkel Helmuth einer Ein- ladung des Vorstandes vom Wagner- Verein gefolgt Ich habe mich nie mit dem Unternehmen befreun- den können, Wagner von der Bühne loszulösen und in den Konzertsaal zu verpflanzen. Man kann gerade so gut eine Eiche aus dem Bodien, in dem sie wur- zelt, herausheben und ins Zimmer stellen. Sie wird vertrocknen, die Blätter verlieren und von dem herr- lichen, winddurchbrausten Baum wird bald nur das Skelett der Aste übrigbleiben, interessant für den, der Baumstudien machen will, aber etwas Totes und Star- res für den, der gekommen ist, sich zu freuen an der Schönheit der urgewaltigen Natur. Ich finde es von den Wagner- Verehrern unbegreiflich, daß sie mit den Werken ihres vergötterten Meisters diese gewag- ten Experimente machen, und es scheint mir, dafi keiner die Absicht Wagners in dessen Sinne verstan- den hat, der selber wiederholt betont hat, daß die Musik seiner Werke nur das Gewand ist, welches die lebendige Gestalt des Dramas lunhüUt; er nennt ja auch selber seine Werke nicht Opern, sondern musi- kalische Dramas. Kaum glaube ich, daß er einverstan- den sein würde, wenn man diesen seinen gewaltig einh erschreitenden Gestalten den Rock auszieht und diesen wie in einem Trödlerladen aus!

Stettin, 13. September 1887.

Eben kommen wir von der Parade ziulick, die bei herrlichstem Wetter sehr schön verlief. Onkel Hel- muth führte sein Regiment sehr nett vorbei, kam gut und richtig in Galopp und sah gut aus. Der Kaiser sehr frisch und seelenvergnügt über die vielen Sol- daten.

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schien, noch lange zu wirken. Niemals würde ich diese eingefallenen Züge als die des Mannes wieder- erkannt haben, den ich zuletzt in blühender Kraft und Gesundheit gesehen hatte. Die Nase ganz scharf und hervortretend, die Augenhöhlen tief eingesunken, die Backenknochen vorspringend. Um den Mund deut- lich, trotz des Bartes erkennbar, zwischen den zu- sammengezogenen Augenbrauen ein Zug tiefsten Wehs, namenlosen Schmerzes. Etwas ganz Fremdes in dem gelblich blassen, abgemagerten Gesicht, aus dem der Schnurrbart fast struppig hervorstand. Die Haare auf der breiten Stirn dünn geworden, der Kinn- bart gräulich schattiert Aus der ganzen Erscheinung sprach unheimlich, fast teuflisch triumphierend der Dämon der grausigen Krankheit Dies tote Gesicht erzählte eine erschütternde Geschichte namenlos schmerzlichen Ringens mit dem Würgengel des To- des. — Es war, als ob dieser die sich sträubende menschliche Kraft unter die Füße getreten habe, bis sie aufstöhnend zerbrach, jammervoll, herzzerreißend. Die großen starken Hände bis auf die Knochen ab- gemagert, fast durchsichtig blaß, über der Brust ge- kreuzt, hielten seinen schweren Kürassierpallasch, der lang und blank über das Bett hinlag. Es sah aus, als ob er dein eigenes Richtschwert an die Brust drücke. Unter der Bettdecke zeichnete sich die lange starre Gestalt ab. Ich kann nicht sagen, wie schmerzlich dies alles sich mir einprägte, welch namenloser Jam- mer aus dem allen sprach. Wie furchtbar ist über den Zustand des armen Kaisers gelogen worden, denn nicht plötzlich und unvermutet ist das Ende an ihn herangetreten, das sieht man nur gar zu gut, lang^ ^am und allmählich. Schritt für Schritt, hat es ihn zu Tode gequält; und wenn er repräsentieren mußte und wenn es von ihm hieß: er hat eine gute Nach!

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Generalstab Berlin, r8. Juni z888.

Soeben kommen wir aus Potsdam zurück/ wo wir den hochseligen Kaiser zur letzten Ruhestätte geleitet haben. Wie wir im Saale des Stadtschlosses wa- ren, kam Prinz Heinrich angefahren und suchte On- kel Helmuth auf, um ihm ein kleines Etui zu über- bringen, in dem die Orden en miniature lagen, die der Kaiser Friedrich zum Zivil zu tragen pflegte. Die ver- witwete Kaiserin Viktoria schickte dieselben als An- denken an Onkel Helmuth, und zwar hatte der junge Kaiser das Etui in der Tasche gehabt, um es selber an Onkel Helmuth zu geben, da er aber keine Ge- legenheit dazu gefunden hatte, schickte er den Prin- zen Heinrich auf die Suche hinter Onkel Helmuth her.

Generalstab Berlin, ig. Juni i888.

Gott segne den jungen Herrn I Dabei hatte er alle Pro- klamationen selbst geschrieben, keine fremde Feder darin, alle Vorschläge verworfen und die Sache selbst gemacht

Generalstab Berlin, 25. Juni z888.

Bei unserer Rückkehr gestern abend aus Ratzebuxg fanden wir das Programm der feierlichen Eröffnung des Reichstages vor, die heute stattfinden soll. Onkel Helmuth war in demselben wie auch in dem Pro- gramm der Trauerfeierlichkeit überhaupt gar nicht er- wähnt. Er war mit Recht auf das tiefste gekränkt und erklärte im ersten Moment, sofort abreisen zu wollen, wollte seinen Abschied nehmen, sagte, er sei in den Skat gelegt usw. Alles ganz richtig. Heute morgen hat er einen Brief an den diensttuenden Adjutanten geschrieben, worin er sagt: Da er als ältester Feld- marschall, Kanzler des Schwarzen Adlerordens usw. wohl hätte erwarten können, einen Platz im Gefolge

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von gelbem Samt, die rotsamtene Estrade für die Kaiserin, die Sessel für die Fürsten rechts und links des Thrones, alles sehr feierlich. Wie alles versam- melt, ging Bismarck es dem Kaiser melden. Dann nahm der Hof seinen Eintritt. Erst Pagen in schwar- zen Eskarpins mit Trauerflor an den Knien, dann die Reichsinsignien. Onkel Helmuth hatte einen besonderen Ehrenplatz erhalten, indem er ganz al- leine hinter den Insignienträgem und unmittelbar vor dem Kaiser ging. Er sah in dem großen roten Samt- mantel des Schwarzen Adlers sehr gut aus, mit sei- nem auf die Hüfte gestemmten Marschallstab. Der Kaiser, wieder mit dem König von Sachsen und dem Prinzregenten zur Rechten und Linken, wie alle Rit- ter vom Schwarzen Adler, in langem wallenden Pur- purmantel, sah imgemein hoheitsvoll und tiefernst aus. Geradezu majestätisch, wie er mit sicherem Schritt auf den Hautpas des Thrones trat und die Versammlimg mit feierlicher Neigung des Kopfes be- grüßte. — Dann, nachdem alles geordnet und Ruhe eingetreten war, hatte er wieder einen sehr schönen Moment, als der Kanzler ihm die Thronrede über- reichte, er dieselbe ergriff, mit einem energischen Ruck den Helm aufsetzte und den Mantel zurück- warf, um hochaufgerichtet den Blick über die lautlos harrende Versammlung gleiten zu lassen. Dann be- gann er zu lesen. Ich achtete genau darauf und sah, daß das Blatt in seiner Hand nicht zitterte. Dennoch war die Stimme zuerst umflort und xmdeutlich. Die Sätze kamen ruckweise und mühsam heraus, er war trotz der Totenstille kaum zu verstehen. Nach und nach aber hob sich das Organ, der Vortrag wtirde fließend und wie er an die Stelle kam : Ich bin geson- nen, Frieden zu halten mit jedermann, so weit es an mir liegt, betonte er das Wort mir so laut und schön,

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vorerst nur in Gips, bis dieselbe in Erz fertiggestellt ist. In treuer Freundschaft Ihr wohlaffektionierter Wilhehn. Die Büste ist von Schott gemacht und zeigt den Kaiser in Husaren-Uniform mit einem sehr schönen, imgemein kühnen Blick.

Heute findet die Vereidigung des Kaisers auf die Verfassung statt, in derselben feierlichen Weise, wie die Eröffnung des Reichstages.

In dem gedruckten Programm, das gestern ankam, ist Onkel Helmuth persönlich aufgeführt und ihm wieder der Platz unmittelbar vor dem Kaiser ange- wiesen. Bei der Gruppierung um den Thronsessel steht Onkel Helmuth auf dem Hautpas hinter dem Thron, ganz alleine, während alles andere rechts und links steht. Es hat somit die wohltätigsten Polgen gehabt, daß er einmal die Zähne gezeigt hat, und wird das Hofmarschallamt ihn wohl so leicht nicht wieder vergessen. Wie ich nachträglich hörte, soll der Kaiser infolge Onkel Helmuths Brief ganz aufier sich gewesen sein, er hatte gleich einen Flügeladju- tanten an Bismarck geschickt und fragen lassen, ob es wohl angängig sei, daß er Onkel Helmuth mit den Fürstlichkeiten zusanmien gehen lassen könnte, wo- rauf B. geantwortet, ja wohl, das ginge sehr gut Onkel Helmuth aber hat im Schloß erklärt, nein, da gehöre er nicht hin und hat sich selber seinen Platz hinter den Kroninsignien vor dem Kaiser gewählt, der ihm denn auch heute offiziell wieder angewie* sen ist

Ganz Berlin, imd wie es nach den Zeitungen scheint, so ziemlich das ganze Deutschland aller Parteifir- bungen, ist entzückt und begeistert von dem Auftre- ten des jungen Kaisers, alles atmet auf, wie von schwerem Druck befreit, und ein Gefühl der Ruhe

herzlich, und wenn sie spricht, mit einem außerordent- lich gewinnenden Zug im Gesicht Sie sieht sehr gut aus, sehr wohl und frisch. Sie hat sehr schöne Hände, und ihre Bewegungen sind alle voll Grazie und An- mut. Sie fragte gleich nach Dir xuid den Kindern und plauderte, nachdem die erste Verlegenheit überwun- den, sehr hübsch und harmlos.

Dann kam der Kaiser, der erst Onkel Helmuth be- grüßte und dann auf mich zukam, der ich mich in eine Ecke gedrückt hatte. Ich sprang ihm nun sofort mit meiner Meldung ins Gesicht, meldete mich : »Dturch Ew. Majestät Gnade zum Major befördert«, wobei er mich während der ganzen Zeit an der Hand hielt. Dann sagte er: »Mein Gott, Sie sind auch schon Ma- jor? Man wird alt, wenn ich denke, wie ich Sie noch als ganz jungen Dachs beim Regiment gekannt habe. Na, ich gratuliere Ihnen.« Wir gingen dann gleich zu Tisch. Die Tafel war in einem kleinen Saal serviert, dessen offenstehende Flügeltüren über eine Terrasse hinweg einen herrlichen Blick über den tiefblauen See und das gegenüberliegende Ufer gewährten. Ete war prachtvolles Wetter, warm, windstill und gans heller Sonnenschein. Der Kaiser saß mit dem Ge- sicht nach der offenen Tür, die Kaiserin ihm gegen- über, rechts vom Kaiser die Gräfin Brockdorff , dann ich. Links die Gräfin Keller, dann Bissing. Onkel Hel- muth links von der Kaiserin, rechts von ihr der Oberst Villaume, Militärattache in Petersburg, der mit uns gekommen war. Dann Lyncker imd auf der anderen Seite der Flügeladjutant Sr. Majestät v.ScholL Das war die ganze Tafelnmde. Der Kaiser war sehr leb- haft und angeregt, sprach viel. Er sieht sehr gut aus. Das Giesicht ist marlderter geworden und männlicher,

lie großen blauen Augen noch größer wie früher.

^egen Ende des Merus sagt die Kais^erin: inT^n^ Wfl-

-u.

Reihenmarsch an. Baby hat noch kein Gewehr und versucht, ohne dies Tritt zu halten, wird aber von den Brüdern als Posten zur Seite gestellt, wodurch er unschädlich gemacht wird. Nun läßt Onkel Helmuth die drei Altesten antreten und Wendungen machen, die gewissenhaft ausgeführt werden, dann marschie- ren sie unter dem Konunando von Bissing, der als Kavallerist Kavalleriekommandos abgibt imd dafür von dem kleinen Kronprinzen rektifiziert wird. Dann wird Wache gemacht und an den Kaiser die Auffor- derung gerichtet: »Papa, geh' einmal vorbei, damit wir heraustreten können.« Schließlich wird Villaume arretiert, einer geht vorne, einer hinten mit gespann- tem Gewehr. Er reißt aus, die beiden hinterher, er wird am Kopf verwundet (natürlich fingiert) und muß sich mit seinem Taschentuch verbinden. Dann wird er an die Wand gestellt und zwei Stühle vor ihm, so ist er im Schilderhaus gefangen. »Du darfst als Ge- fangener nicht rauchen«, sagt Nr. x, er muß seine Zi- garette wegwerfen. Die Kaiserin sieht mit seligem Lächeln auf ihre hübschen Kinder, deren Wangen glühen und deren Augen vor Vergnügen strahlen. So geht die Zeit hin, bis ich plötzlich sehe, wie mir ein Lakai energisch zuwinkt Es ist Zeit abzufahren. Ich avertiere Onkel Helmuth, der nicht weg will, bis ihm der Kaiser zu Hilfe kommt und ihm AdieU sagt. »Es war sehr liebenswürdig von Ihnen, daß Sie her- ausgekommen sind.« Mir gibt er wenigstens dreimal die Hand: »Adieu, lieber Julius, grüßen Sie Ihre Frau schön.« Auch die Kaiserin gibt mir die Hand und sagt mir dasselbe: »Grüßen Sie Ihre Frau herzlich.« On- kel Helmuth ist in heiterster Dejeunerstimmung, hält Frl. V. Gersdorf f für die Kaiserin, wiU ihr die Hand küssen und fragt dann: »Wo ist die Prinzeß?« Dabei steht die Kaiserin einen Schritt hinter ihm und sagt:

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wo Onkel Helmuth sich einschrieb. Heute abend sollen wir zum Zapfenstreich, morgen um 7 Uhr zimi Diner, übermorgen nach Babelsberg.

Generalstab Berlin, x3.August 1889.

Wir waren gestern abend im Schloß zum Zapfen- streich, der wunderhübsch war und in allen seinen Teilen außerordentlich glückte. Der Kaiser von Öster- reich sagte Onkel Helmuth, daß er ihn zum Chef des 71. Regiments (österr.) gemacht habe. Ich stand zu weit, um genau verstehen zu können, hörte aber, daß von Regiment pp. die Rede war, und sah auch, daß Onkel Helmuth eine seiner zweifelhaften Verbeugun- gen machte, die er immer macht, wenn er nicht recht verstanden hat. Der Kaiser von Osterreich stand eine Weile mit etwas verlegenem Gesicht vor ihm und ging dann weg. Ich fragte nun Onkel Helmuth, ob ihm nicht der Kaiser ein Regiment verliehen habe, und er antwortete mir ganz gleichgültig: »Jawohl.« Welches denn?« »Ja, das hab' ich nicht verstanden.« Ich erkundige mich also bei dem österreichischen Flügeladjutanten, und er sagt mir, es ist das 71. Re- giment, ein sehr schönes ungarisches Regiment Der österreichische Militärbevollmächtigte geht nun zu Onkel Helmuth und gratuliert ihm und sagt, er freue sich so sehr, Onkel Helmuth nun als Mitglied der österreichischen Armee begrüßen zu können. Onkel Helmuth sieht ihn ganz wild an und sagt: »Was mei- nen Sie?« Er wiederholt es. Onkel Helmuth steht auf und sagt: »Mich? Wie meinen Sie das?« Steininger sagt: »Exzellenz, Se. Majestät der Kaiser hat Ihnen doch das 71. Regiment verliehen.« »Mir? Denkt gar nicht dran.« Schließlich kommt es heraus, daft er verstanden hat, der Kaiser von Osterreich habe ifun Erzählt, daß er unserem Kaiser ein Regiment v«r-

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:ion. Dann die Braunschweiger^ dann die Würt« temberger, dann die Untertanen der übrigen kleinen Bundesstaaten, zuletzt die Elsaß-Lothringer, alle ihren besonderen Eidl

Generalstab Berlin, 24. November 188g.

Gestern haben wir eine recht mäßige Aufführung des Lohengrin gehört. E. mit zuletzt gänzlich versa- gender Stimme als Lohengrin imd eine Frau P., die ich nach ihrer entsetzlichen Aussprache als Englän- derin oder Amerikanerin taxiere, gab die Elsa. Ete war jammervoll. Diese Dame hatte einen riesigen Mund, den sie beim Singen so weit aufriß, daß man ihr mit dem Opernglas über eine gewaltige Zimge hinweg bis hinten in den Gaumen sehen konnte. Gleich wie sie anfing : »Mein armer Bruder schnappte ihr der Ton über, in allen Bewegungen war sie un- graziös, maniriert unnatürlich und unschön, von dem Wesen der Rolle hatte sie keine Ahnung, es war wirk- lich schrecklich. Das Orchester bald schleppend, bald in solcher Stärke, daß man von dem Gesang auf der Bühne gar nichts hörte, nur das Auf- und Zuklappen von Elsas riesigem Mund sah, wenn sie nicht gerade in Momenten der Erregung, die sie dadurch veran- schaulichte, daß sie mit dem ganzen Kopf zwischen den hochgezogenen Schulterblättern verschwand, so daß man nur eine rote Perücke mehr sah, dem Pu- blikum auch diesen Genuß entzog. Nein, unsere Oper ist wirklich geradezu

Generalstab Berlin, 27. November 1889.

Onkel Helmuth und ich fahren morgen nach Pruts. Wir haben jetzt eine recht interessante Lektüre, die Errichtimg des deutschen Kaisertums durch WU- heln> X ^^T Mtfkinri'^^ -ron S^bi^t. Hü^sch un^ h^

in das alle, auch das zu Hunderten auf den Dächern und in den Fenstern der umliegenden Häuser ge- drängte Publikum (die Parade fand auf dem Kaser- nenhof der Marine statt) einstimmte. Dann folgte ein Gefechtsexerzieren einer Matrosen-Kompagnie mit Platzpatronen, was in dem von hohen Kasernen um- gebenen Hof gewaltig knallte, und schließlich ein Frühstück im Marinekasino, bei dem der Kaiser eine lange Rede hielt. Der Admiral Goltz ließ dann Onkel Helmuth leben, indem er an ein Wort desselben er- innerte, das er gelegentlich der Anlage der Kieler Hafenbefestigungen gesprochen habe: ]»Sie sollen hinausfliegen, meine Herrn, damit Sie dies können, bauen wir Ihnen ein sicheres Nest, in das Sie zurück- kehren können.« Wir saßen gegen zwei Stunden bei Tisch, worauf wir ins Schloß zurückfuhren. Nach- mittags versuchte Onkel Helmuth mit mir einen Spa- ziergang auf der vom Schloß am Hafen hinlaufenden Promenade, mußte denselben aber sehr bald wieder aufgeben, vertrieben von dem schneidenden Ostwind und den in Haufen uns folgenden Neugierigen.

Onkel Helmuth befindet sich sehr wohl. Er ißt mit einem riesigen Appetit und hat Interesse für alles.

Kiel, Königliches Schloß,7. AprilxSQX.

Gestern haben wir, leider bei schlechtem Wetter, kaltem Wind luid anhaltendem, wenn auch nicht stai^ kem Regen eine Tour nach dem im Bau befindlichen Nord-Ostsee-Kanal luitemommen. Ziuiächst fuhren wir per Wagen nach einem kleinen, in der Nähe von Holtenau belegenen Ort, wo drei kleine Dampfer be- reit lagen, uns aufzunehmen. Der Kaiser kam fünf Minuten nach uns an. Onkel Helmuth war in der Uni« f om^ des Seebataillons. Wir schifften uns ein und fuhren ^VLn^^hnt *uf 4#*ra alten Eid-^r-Ksniil los- V^ran

IM

beipassieren können. Es ist eine ganz gewaltige Ai^ beit, die zurzeit siebentausend Arbeiter und eine Unzahl von Maschinen, hauptsächlich Grund- und Trockenbagger, beschäftigt. Sehr interessant ist eine Strecke, wo der Kanal ein flüssiges Moor durch- schneidet. Da hier die Böschungen bei einfachem Ausstechen immer wieder nachsinken und die Tiefe wieder füllen würden, werden zunächst auf beiden Seiten in der Breite des projektierten Ausstichs ge- waltige Sand- und Kiesdämme geschüttet Das Ma- terial wird von anderen Stellen entnommen, wo durch hohes Land durchgestochen wird. Beiderseits sind provisorische Eisenbahnschienen gelegt, auf de- nen mit kleinen Lokomotiven der ausgehobene Bo- den angefahren wird. Der Ausstich erfolgt meistens mit Trockenbaggem, die den Boden ausheben und direkt in die Eisenbahnloris schütten. Ist ein Wag- gon vollgeladen, schiebt sich der ganze Bagger, der ebenfalls auf Schienen geht, um einen Wagen wei- ter und ladet so einen Zug von zwanzig Wagen in etwa zehn Minuten voll. Der Zug fährt nun bis da- hin, wo der Danun geschüttet werden soll, worauf alle Wagen an der Seite geöffnet und umgestUnt werden. Der auf diese Weise gebildete Damm sinkt in das flüssige Moor ein, das sich zwischen den bei- den Dämmen vollständig heraushebt, von dem Druck derselben, und dann wird zwischen den so erst ge- schütteten Dämmen der eigentliche Kanal ausge- stochen, dessen Ufer nun stehen. An einer an- deren Stelle sahen wir einen sogenannten Sprits^ bagger. Der arbeitet folgendermaßen: E^ hebt vom Grimde unter Wasser den Boden aus, bringt ihn nach oben, wo er durch dieselbe Maschine, die gleichzeitig ein Wasserpumpwerk bewegt, mit Wasser zu einem eanz dünnen Brei eetni«cht vfird d'^r dann w^ei'^'^nn

Bei der Stadt Rendsburg gingen wir durch die Schleuse des ahen Bider-Kanals, die an beiden Sei- ten von Hunderten von Menschen besetzt war, und fuhren noch ein ganzes Stück auf die Untereider hin- aus, drehten dann um und kamen um 5 Uhr in den auf dem Rendsburger Bahnhof bereitstehenden kai- serlichen Sonderzug, der uns nach Kiel zurückführte. Heute morgen waren Onkel Helmuth und ich beim I. Seebataillon, wo er die Kaserne besichtigte und mit dem Offizierkorps frühstückte, auch ließ er sich mit den Herren zusammen photographieren, zu de- ren größter Freude. Dann fuhren wir spazieren und kamen um z Uhr zum Frühstück ins Schloß zu- rück. Nach demselben waren wir auf der »Moltke«, die heute morgen in Dienst gestellt wurde, wo wir ein- gehend das ganze Schiff besichtigten, das in drei Ta- gen in See gehen soll. Es ist ein schönes stolzes Schiff mit 3 Masten und 2 Schrauben, ganz weiß ge- strichen, führt 12 schwere Geschütze und 430 Mann Besatzung. Unter dem Bugsprit ist Onkel Helmufhs Kopf in riesiger Größe angebracht und die Mann* Schaft trägt den Namen »Moltke« auf der Mütze.

*Neues Palais, 15. Mai xSgz.

Der Kaiser war sehr gnädig und gütig gegen mich| ich mußte ihm noch viel von Onkel Helmuth ier- zählen. Ebenso die Kaiserin.

Berlin, 7. November zSgz,

Um 5 Uhr hatte der Kaiser sich bei dem Reichs* kanzler zu Tisch angesagt, und wir fuhren um 4 V4 Uhr mit Sonderzug nach Berlin. Ich zum erstenmal in den Räumen, in denen mir noch der Geist des ge- waltigen Vorgängers zu wehen schien. Was haben

rieh hat ihr Fuß gewandelt. Leider reicht meine Zeit nicht aus, um alles zu schildern. Der Großherzog sagte mir aber gestern: )»Sagen Sie Ihrer Frau Ge- mahlin, ich lüde sie ein, mit Ihnen zusammen xxdch auf der Wartburg zu besuchen. Grüßen Sie sie sehr von mir.<(

Weimar, xo. Oktober 1892.

Die wenigen freien Stimden, die mir blieben, habe ich benutzt, um mir das Goethe-Haus und die von ihm eingerichtete Bibliothek anzusehen. Das Sterbe- zimmer, ein kleiner, nach dem Garten zu belegener Raum, in dem ein Bett mit groben Laken, der vor dem stehende Lehnstuhl, in dem Goethe starb, sein ganz kleiner Waschtisch mit einfachster Wasch- schüssel und einem braunen irdenen Wassergefäß stehen, ist völlig so erhalten, wie es war. 'Ein feier- liches Gefühl überkommt einen, wenn man in dieses Kämmerchen eintritt, in dem nicht einmal ein Ofen steht, und dies schmucklose, fast ärmliche Zimmer betrachtet, in dem einer der größten Geister sich von der irdischen Hülle loslöste. Das danebenliegende Ar- beitszimmer zeigt dieselbe Einfachheit. Steife grad- linige Möbel ohne jede Verzierung, ohne jeden Kom-» fort. Die reichbelebte geistige Welt, in der er lebte^ ließ ihn wohl keinen Wert auf die Äußerlichkeiten legen. Gerne hätte ich stundenlang in diesen Räumen geweilt, in denen alle von ihm angelegten und selbst geordneten Sammlungen aufbewahrt werden, aber die Zeit war knapp bemessen, und ich mußte mich mit flüchtigem Durchwandern begnügen.

Berlin, 15. Dezember 1892^

Daß Du offenen Sinn hast für die schönen alten Erinnerungen, an denen Weimar so reich ist, wei&

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auch durch die berühmte Porta nigra, eins der schön- sten Bauwerke altrömischer Zeit. Heute moi^en sind wir von Koblenz nach Metz gefahren, wo grofier Feldgottesdienst stattfand. Dann ritten wir mit dem Kaiser an der Spitze der gesamten Garnison nach Metz hinein bis auf die Esplanade, wo der Kaiser unter dem Denkmal des alten Kaisers Wilhelm die Trup- pen an sich vorbeimarschieren ließ.

Man hat von dort oben einen herrlichen Blick auf das Moseltal und die dahinter liegende imposante Höhe des Mont St. Quentin, ein großartiges Panora- ma. — Die Beteiligung der Bevölkerung in Metz war mäßig, es waren nicht allzuviel Leute auf den Stra- ßen. Die Fenster dünn besetzt, von der Landbevölke- rung fast nichts zu bemerken, dennoch wurde mir gesagt, daß die Beteiligung eine viel regere sei, als beim letzten Kaiserbesuch.

Von Kurzeil bis hier ans Schloß fährt man keine zehn Minuten. Die ganze Chaussee war dicht be- setzt mit Schulen, Vereinen pp., alle mit deutschen Fahnen und Fähnchen, aber natürlich alles gelieferte Ware. Hier war auch ein größerer Teil der Land- bevölkerung zusammengeströmt, der sich spontan an den Huldigungen beteiligte.

Schloß Urville, 5. September z8g3.

Heute haben wir den ersten Manövertag gehabt Die Übungen sind sehr interessant. Es klingt merk- würdig, wenn der Kaiser an einer Gruppe Landleute vorbeikommt und dieselben mit Begeisterung vive l'empereur rufen. Die frische und schöne Eichel- nung des Kaisers wirkt sichtlich auf die Leute. Alles spricht hier französisch, und die Leute sehen aus wie Stockfranzosen, Blusen, Jabots und weiße Hosen«

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nigs nach dem Berliner Schloß, Portal 5, bestellt, um daselbst bei der erwarteten Ankimft des Fürsten Bis- marck anwesend zu sein. Es waren zugegen der Kom- mandant des Hauptquartiers, General v. Plessen, die Flügeladjutanten Kapitän zur See v. Arnim, Oberst- leutnant V. Scholl, V. Arnim II, v. Moltke, Major v. Ja- kobi. Der Oberst v. Kessel, Kommandeur des z. Garde- Regiments, war ebenfalls von Sr. Majestät zxim Emp- fang befohlen worden. Außerdem die KabinettschdFs General v. Hahnke, Admiral v. Senden, Geheimer Ka- binettsrat V. Lucanus. Um dem Empfang den Charak- ter des Militärischen zu wahren, hatte Se. Majestät befohlen, daß die Offiziere im Dienstanzug, Achsei- stücke und hohe Stiefel, erscheinen sollten. Der Flügeladjutant Major Graf Moltke, den der Kaiser drei Tage vorher mit einem Handschreiben, in dem er den Fürsten einlud, als sein Gast nach Berlin zu kommen, nach Friedrichsruh geschickt hatte, war für die Anwesenheit des Fürsten zu ihm kommandiert und erwartete mit Sr. Königlichen Hoheit dem Prin- zen Heinrich von Preußen, dem Kommandanten Oberst v.Natzmer und dem Gouverneur, Generaloberst V. Pape, die Ankunft des Fürsten aiif dem Lehrter Bahnhof. Zur Vertretung des Grafen Moltke, welcher den II. Dienst bei Sr. Majestät hatte, war ich kom- mandiert. Ich kam um 12 Uhr ins Schloß. Vor dem Brandenburger Tor und Unter den Linden wogte be- reits eine dichtgedrängte Menge, den Fürsten erwar- tend, und immer neue Scharen zogen auf der Char^ lottenburger Chaussee und aus den Nebenstraßen herbei. Überall sah man frohe, erwartungsvolle Ge- sichter. Das Wetter war schön, die öffentlichen Ge- bäude hatten auf Allerhöchsten Befehl geflaggt, viele Privathäuser waren festlich geschmückt. In der Bin- fahrt des Portals x im Schloß Rtam^ hmA n>ein«T An-

dem Wohnzimmer hinaus und in das Vorzimmer zu bringen, da der Geruch zu stark sei. Derselbe war in der Tat betäubend, die Fenster mußten geöffnet wer- den. Draußen vor der Rampe stand die Menge Kopf an Kopf y das dumpf e Brausen sich drängender VoUra* massen tönte herein, man hörte das Stampfen der Pferde der berittenen Schutzmannschaft auf dem Asphalt. Die Mitte des Schloßplatzes war in breiter Ausdehnimg frei gehalten, unter den Fenstern der Wohnimg stand eine Kompagnie des 2. Garde-Regi- ments mit Fahne und Musik im Paradeanzug als Ehrenwache. Der Kaiser ging unruhig durch die Zim- mer. Um ihn herum schleppten Bedienstete die Blu- menkörbe und gingen Mädchen mit Staubbesen und Wischtuch, um Teppich und Möbel zu reinigen. Wir drückten uns in eine Ecke und sahen dem Ge- haste zu. Endlich war Ordnung geschaffen und die Leute wurden hinausgejagt Nach und nach fanden sich die zum Empfang Befohlenen ein. Sie scho- ben sich hin und her, keiner wußte, wo wir Aufstel- lung nehmen sollten, und alles flüsterte leise. Der Kaiser sprach diesen und jenen hastig an, hatte aber keine Ruhe, brach kurz ab und ging wieder in ein an* deres Zimmer. Plötzlich schritt er rasch auf den Aus- gang zu und ging durch das Portal auf den Schloß- platz hinaus. Arnim und ich folgten. Der Kaiser ging an den rechten Flügel der Ehrenkompagnie herany bot derselben Guten Morgen und schritt die Front ab. Dann kehrte er ebenso rasch und ohne ein Wort zu sagen in das Schloß zurück. Dann befahl er, daß eine Sektion von der Schloßwache die Rampe be- setzen und keinen Menschen auf dieselbe hinauflas- sen sollte. Dies geschah. Es war schon vorher kein Mensch auf der Rampe gewesen. Jetzt traf auch der Oberhofmarschall Graf zu Eulenburg ein, ebenso die

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ein, daß der Fürst angelangt sei, daß in seiner Be- gleitung außer dem Dr. Schwenninger und dem Dr. Chrysander, die erwartet wurden, auch der Graf Her- bert Bismarck sich befinde, der nicht erwartet wurde. Dem Kaiser war dies augenscheinlich unangenehm. Er befahl, daß der Graf Herbert im Vorzimmer blei- ben und nicht mit dem Fürsten zu ihm hineinkom- men solle. Das Hofmarschallamt war in großer Auf- regung, wie man sich mit diesem unerwarteten Pail accompli abfinden solle. Der Fürst konnte jetst je* den Moment eintreffen. Wir hatten im Vorzimmer Aufstellung genommen und blickten in gespannter Erwartung durch das Fenster. Jetzt hörte man brau- senden Jubel von den Linden herauftönen. In die vor dem Schloß gestaute Menge kam Bewegung, al- les schob und drängte nach vorwärts, alle Köpfe wa- ren der Schloßbrücke zugewandt, über die in schlan- kem Trabe, mit in der Sonne blitzenden Kttrassen, die voranreitende Eskorte daherkam, dahinter der große, geschlossene Galawagen, in dem der Fürst mit dem Prinzen Heinrich saß. Vor der Ehrenwache aI^:e- kommen, schwenkte die Eskorte ab, der Wagen hielt, unterstützt von dem Prinzen Heinrich stieg der Fürst aus und ging auf den rechten Flügel der Kompagnie zu. Diese präsentierte, und in die jauchzenden Zu- rufe, den brausenden Jubel der Menge, die die Hüte schwenkte und mit Tüchern wehte, mischten sich die Klänge der Musikkapelle, die den Präsentier- marsch spielte. Während der Fürst mit seinem lang- samen, schleppenden Schritt die Front der Kom- pagnie hinunterging, drückten wir die Nasen an die Fensterscheibe. Im Nebenzimmer, dessen Türen ge- schlossen waren, war der Kaiser allein. Was mag in diesem Augenblick durch die Seele des Monarchen gezogen sein, wie er den Mann, der ihm so bitter weh

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Die Flügeltüren wurden geöffnet, und er trat über die Schwelle. Der Kaiser, welcher mitten im Zimmer stand, trat ihm rasch mit ausgestreckter Hand ent- gegen, die der Fürst, sich tief verneigend, mit beiden Händen ergriff. Da beugte der Kaiser sich vor und küßte ihn auf beide Wangen. Die Türen schlössen sich, die beiden waren allein. Draußen stand Kopf an Kopf. Die Menge war bis an die Rampe herange- drängt und schrie ihre unaufhörlichen Hochs, die Hüte wurden geschwenkt, mit den Tüchern gewinkt, und immer wieder erneuerten sich die Zurufe. Schli^- lich fing einer an »Deutschland, Deutschland über alles« zu singen^ andere fielen ein, imd bald schoU das Lied vielhundertstimmig empor, unterbrochen von immer wiederholten Hurras, sobald jemand sich am Fenster zeigte. Nach etwa zehn Minuten öff- nete der Kaiser wieder die Tür und befahl, daß die beiden ältesten Prinzen geholt werden sollten. Dann winkte er den Prinzen Hemnch hmem. Während SchoU ging, um die Prinzen zu holen, blieben wir im Vor» zimmer im Gespräch mit dem Dr. Schwenninger und Herbert v. Bismarck« Dann kamen die Prinzen in der Uniform des i. Garde-Regiments \md mit dem Bande des S chwarzen- Adler-Ordens. Sie blieben etwafünf Mi« nuten im Zimmer des Fürsten und wurden dann von Scholl wieder zurückgeleitet. Nachdem abermals et- wa zehn Minuten verstrichen waren, öffnete der Kai- ser wieder die Tür, um uns zu entlassen. Sein Gesicht war hell und heiter, es lag auf demselben wie der Schimmer einer großen Freude. Während die übri* gen Herren von den Hofmarschällen zum FrühstUck hinausgeleitet wurden, gingen Arnim und ich auf das Adjutantenzimmer, um ebenfalls zu frühstücken. Dann zogen wir uns um zum Reiten. Der Kaiser hatte um ^/f% Uhr die R'^'tpfi'^cl*» b-^Ätellt. In> Port-Äl t stan'? t>nch

sere viertausend Meter abgaloppierten. Dann ging es in einem Galopp nach dem Brandenburger Tor durch den Tiergarten zurück. Der Kaiser war in sehr ge- hobener Stimmimg. Er sprach lebhaft und scherzte mit uns. Er erzählte, wie er dem Fürsten beim Früh- stück von seinem besten Rheinwein vorgesetzt und wie der ihm gemundet habe. Die begeisterten Ova- tionen, deren Gegenstand er geworden war, hatten ihn augenscheinlich tief ergriffen, und er freute sich des Sieges, den er über sich selbst gewonnen, des schwersten, den ein Mensch erringen kann« Von dem Augenblick an, wo wir uns dem Brandenburger Tor näherten, wo schon eine dichte Menge die Rückkehr des Kaisers erwartete, umbrauste uns wieder derselbe Jubel. Es war fast dunkel, wie wir im Schloß wieder anlangten.

Um 6V4 Uhr fand in den Räimien des Fürsten ein kleines Diner statt. Wie wir, dem Kaiser folgend, hiiH untergingen, gab der Kaiser mir den Befehl, für den morgigen Tag, seinen Geburtstag, eine Ehrenkom- pagnie zur Paroleausgabe nach dem Zeughaus zu be- stellen. Ich ging auf unser Zimmer, um den Befehl auszufertigen. Wie ich wieder hinunterkomme, öff- net mir ein Lakai eine Tür, ich trete ein und stehe dem Kaiser gegenüber, der mit dem Fürsten und dem Prinzen Heinrich im Gespräch ist. Ich melde dienst* lieh, daß der Befehl ausgeführt sei, und stehe stramm neben der Tür. Indem sagt der Kaiser ztun Fürsten: »Das ist der Oberstleutnant von Moltke, der lange Adjutant des verstorbenen Feldmarschalls war.c Der Fürst nickt frexmdlich und sagt: »Oh, ich kenne Herrn von Moltke, und habe ihn auch schon begrüßt.€ Dar- auf sagt der Kaiser: »Die beiden« (womit er Cimo von Moltke und mich meint) »sind nämlich Vettem.c Wie ich nnn wieder z^^ro Zi*nxp^r fiini>uRwqch^f> will^ in

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beim Aussteigen behilflich, dann folgte der Kaiser. Beim Eintreten in die Bahnhofshalle gab der Kaiser dem Fürsten den Arm und führte ihn die Stufen hin- ab. Donnerndes Hurra der auf dem Perron versam- melten Menschenmenge begrüßte beide. Vor dem Sa- lonwagen nahm der Fürst Abschied von seinem Kai- serlichen Herrn, der ihn wieder auf beide Wangen küßte, er neigte sich über die Hand des Kaisers und führte sie an seine Lippen. Seine Augen waren feucht Wie er eingestiegen und noch am offenen Fenster stand, sagte ihm der Kaiser: »Nun, lieber Fürst, w^er^ den Sie hoffentlich gut schlafen nach dem anstren- genden Tage.« Und dann fügte er noch hinzu: »Wenn ich im Februar nach Wilhelmshaven gehe, werde ich einmal in Friedrichsruh anfragen, ob ich Sie besu- chen kann.« Dann pfiff die Lokomotive und der Zug fuhr langsam hinaus, während der Fürst am Fen- ster stand und mit der Hand winkte. Das Gewölbe hallte wider von den Hurras der Leute, wie wir uns zur Rückfahrt wandten. Uns war den ganzen Tag hochzeitlich zumut gewesen.

Für Liza geschrieben von Helmuth.

BerUn, den 28. Januar 1894.

StPetersburg, i7.November 1894.

Das ging alles so rasch und unerwartet, die Nach- richt von dem Tode des Papas und unsere Abreise, an der sich nun nichts mehr ändern ließ. Nim habe ich an der Bahre eines anderen Toten gestanden, an einer Bahre, um die sich noch einmal aller Pomp \md Glanz des Irdischen entfaltet, bevor der stille Mann, der auf ihr ruht, in der Gruft beigesetzt werden wird, und zur selben Zeit liegt in Schweden der an- dere stille Mann, wohl noch auf seinem einfachen

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Heiligenbild, das auf der Brust des toten Kaisers liegt, und draußen weint der traurige Himmel über die Stadt und über ganz Rußland.

St. Petersburg, 20. November 1894.

Die Beisetzung des verstorbenen Kaisers hat heute stattgefunden. Es war eine ergreifende Zeremonie, nur durch die Länge der Handlung etwas monoton. Die Feier dauerte zweieinhalb Stunden. Um ^/^xi Uhr versammelten wir uns in der Peter-Pauls-Kirche, in deren Mitte der Sarkophag mit der Leiche aufgebahrt steht. Die Kirche ist nicht groß und die Tausende, welche der Feier beiwohnten, standen dicht gedrängt, ohne sich während der ganzen Zeit bewegen zu kösr nen. Die zahlreiche Geistlichkeit in prunkvollen weißen Silberbrokatgewändem \imstand den Saxg. Der berühmte Chor sang in der ergreifendsten Weise, nie habe ich einen schöneren Gesang gehfirt, die Bässe von der Tiefe einer Orgel und dazwischen wehklagend weiche Sopranstimmen. Räucherweric füllt den Raum und steigt in blauen Wolken zur hohen Wölbimg hinan. Inuner wieder erhebt der Priester seine tiefe Stimme, um Gott um Frieden für den Verstorbenen anzuflehen, und rhythmisch fittt der Chor in die Schlußworte ein. Endlich nimmt die Familie Abschied von dem Toten. Zuerst die Kai- serin-Witwe, dann der junge Kaiser, dann alle Groß- fürsten und Großfürstinnen treten an den Sarg heran und küssen den Toten auf die Stirn. Dann wird der Sarg geschlossen und vom Kaiser und den Groß- fürsten von dem Sarkophag herabgehoben und bis dorthin getragen, wo er in die Gruft hinabgesenkt werden soll. Der Kaiser selber legt den Hermelin- mantel über den Sarg, und langsam sinkt er in die T^efe. D«is Ge'^^äng'*» hei»« Anaea^e war fürr-Hte***

Heute nachmittag bin ich zum erstenmal etwas in die Stadt gekommen, aber einen rechten Eindruck habe ich noch nicht erhalten. Es ist alles zu massig und groß und dabei alles in den ewigen dicken Nebel gehUUty den selbst London nicht schöner aufweisen könnte.

StPetersburgi 23. November 1894.

Den heutigen Tag haben wir benutzt, um uns zwei Sehenswürdigkeiten von Petersburg anzusehen, die Isaakskirche und den Marstall. Die erstere ist in ihrer Art ein Wimderbau. Sie liegt auf dem schönsten freien Platz der Stadt, die sie mit ihrer vergoldeten Kuppel hoch überragt Da ganz Petersburg auf Sumpf- boden steht, ist man genötigt gewesen, allen Gebäu- den durch unzählige eingerammte Baumstämme eine feste Unterlage zu schaffen. Um den Prachtbau der Isaakskirche zu tragen, muß ein ganzer Wald von Mastbäumen nötig gewesen sein. Breite Granitstufen führen zu der Plattform hinan, auf welcher sie sich erhebt. Die beiden Haupteingänge gegen Nord und Süd werden durch zwei von Säulen getragenen Peri- stylen gebildet. Diese Säulen sind sechsundfünfzig Fuß hoch und sieben Fuß dick und bestehen jede aus einem einzigen Granitblock, der bis ziur Glätte des Mw- mors poliert ist. Sie ruhen auf bronzenen Basen imd tragen ein bronzenes korinthisches Kapital. Ober- haupt ist die ganze Kirche durchweg aus Granit, Mar- mor und Erz gebaut, im Gegensatz zu den meisten übrigen Petersburger Kolossalbauten, die fast alle aus Backsteinen aufgemauert sind. Mächtige Türen aus Bronze mit reicher Hautreliefarbeit führen in das Innere der Kirche, das in seiner ganzen Anordnung an St. Peter in Rom erinnert. Nur ist dort die Kuppel

goldeter Prachtkutschen, meist aus der Zeit Katha- rinas II., zum Teil von Boucher und Pesne gemalt und mit Edelsteinen reich verziert, dann die Zere- monienwagen für den Transport der Regalien, von denen zehn ganz gleich sind, aus stark vergoldetem Silberblech und rotem Samt gebildet. Mitten unter dieser goldenen Pracht, die wirklich betörend vrirkt, steht das einfache Coup6 des Kaisers Alexander U., dessen ganzer Rückteil von der Bombe zersplittert ist, die unter dem Wagen krepierte, ohne den Kaiser zu verletzen, der erst der zweiten Bombe zum Opfer fiel. Eine ernste Mahnung für alle kommenden Herr- scher!

St. Petersburg, 24. November 1894.

Wir haben heute morgen die hiesige Reitschule besucht, zu der wir gelangten, nachdem wir fast eine Stunde in der Irre gefahren waren. Die uns beige- gebenen Lakaien sind das Stupideste, was denkbar ist, der meinige hat mich noch nicht ein einziges Blal richtig an Ort und Stelle gebracht. Gegen Pferde und Kutscher verfährt man hier mit großer Rück- sichtslosigkeit. Keinem Menschen, der ein Diner oder eine Abendgesellschaft besucht, fällt es ein, den Wa- gen nach Hause zu schicken, er bleibt einfach auf der Straße halten, der Kutscher, in seinen langen Pelz gehüllt, schläft auf dem Bock, indem er den Kopf gegen die Kante des Kutschkastens lehnt und die Pferde stehen mit gesenkten Köpfen regimgslos da. Von der drakonischen Strenge, mit der hier die Polizei gehandhabt wird, habe ich ein Beispiel erlebt Ich hatte eines schönen Tages einen neuen Kutscher imd auf meine Frage nach dem alten, erwiderte mir mein Lakai nur, der sei fortgeschickt. Am nächsten Tage las ich in der Zeitung unter der Rubrik: Tages-

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nicht geritten, nur Schritt, Trab und Karriere. Auch hier war das Springen über die niedrige Hürde höchst mangelhaft. Oftmals mußte das vor dem Hindernis stützende Pferd durch Hiebe mit der ledernen Ko- sakenpeitsche, die jeder Reiter am Faustriemen trägt, hinübergebracht werden. Es wurde dann noch ein Gestell in die Bahn gebracht, auf dem fingerdicke Weidenruten aufgesteckt waren. Die Offiziere ritten mit Rechtsauslage vom Fleck in der Karriere einzeln ab an dem Gestell vorbei, und es kam darauf an, im Vorbeijagen eine der Ruten mit dem Säbel zu durch- hauen. Den meisten gelang dies Manöver, einige der Stäbe waren glatt wie mit dem Rasiermesser durch- schnitten. Der Konunahdeur der Reitschule, der vor einigen Wochen erst aus Hannover zurückgekehrt ist, wo er einem Kursus unserer Reitschule beige- wohnt hat, erzählte uns, daß er im vorigen Jahr acht- zehn Pferde mit abgeschlagenen Ohren gehabt habe« Wenn der haarschuf e Säbel nicht sehr geschickt ge» führt wird, ist ein solches Malheur leicht erklärlich. Wir sahen dann noch einzelne, wohl besonders aus- gesuchte Leute, auf alten Schulpferden voltigieren. Sie. mächten ihre Sache sehr gut, einer von ihnen hätte gleich im Zirkus als Jockeireiter auftreten können. - Nachdem die Vorstellung beendet war, fuhr ich nach der Kasan-Kathedrale, die berühmt ist wegen ihres ungeheuren Reichttuns an gediegenem Silber; Die Kirche, ebenso wie die Isaaks-Kathedrale, im hy^ zantinischen Stil erbaut, liegt auf einem freien Platz am Newski Prospekt, der größten Straße Petersburgs. Von beiden Seiten wird sie flankiert durch eine of- fene, halbkreisförmige Säulenkolonnade, einer Nach- ahmung der großen Kolonnade von St Peter in Rom. Im Inneren hat sich die Vorliebe der Russen für Säu- len Genüge getan, die auch in den privaten und öf-

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einigt, wie hier. Hier sind die berühmtesten Meister- werke der Malerei und Skulptur aller Lande in einer unermeßlichen Reihe von Zimmern und Sälen ver- teilt, deren jeder selbst ein Kunstwerk an Schönheit und Geschmack ist. Es gibt keinen berühmten Maler, der hier nicht durch seine vorzüglichsten Schöpfun- gen vertreten wäre. Rubens, Raphael, Tizian, van Dyk, Ruisdael, Teniers, Wouwerman, Corregio und Mu- rillo füllen ganze Säle aus, leider ist die Beleuchtimg eine so schlechte, daß fast keins der erhebenden Mei- sterwerke zur vollen Geltung gelangt. Um 2 Uhr war es schon so dunkel, daß man fast nichts mehr sah, der neblige, graue Himmel erstickt alles Licht Den Teil der Sammlungen, welcher die Antiken, die Mosaiken, Juwelen und geschnittenen Steine um- faßt, habe ich nicht gesehen, ich konnte von den Bil- dern nicht loskommen. Sehr merkwürdig sollen auch die dort aufbewahrten Ausgrabungen von Kertsch in der Krim sein, wo vierhundert Jahre vor Christi griechische Kultur blühte, bis die Völkerwelle der Skythen imd die tatarischen Horden sie hinw^- spülte.

KABINETTSORDER.

Ich habe Sie heute zum Obersten befördert und gereicht es Mir zum Vergnügen, Ihnen dies hierdurch bekanntsummchea.

Neues Palais, den x8. August 1895.

Wilhelm R.

An Meinen dienstt. Flttgeladjutanten, Oberstleutnant v. MoltiBe, Kommandeur der Schloßgarde-Kompagnle.

Stettin, 7. September zSgs«

Wir sind eben aus dem Schloß gekommen, wo wir Manöverbesprechungen gehabt haben. Dies Le* ben, so ermüdend es ist, bekommt mir außerordent-

U^h gut. Es ist IPi^ iTnfn#»r. aIs nh m«»ine K'f48ff«» 8^ch

aber ebenso unangenehm sein muß. Da mir der Ex- mittierte unbekannt war und blieb, schlief ich mit ziemlich ruhigem Gewissen auf dem bequemen Schlafsofa des breiten Wagens, das bei dem sehr langsamen Fahren des russischen Zuges ein vor- treffliches Lager bot. Um g Uhr morgens war ich aus Rominten, um iiV2Uhr aus Trakehnen weggefah- ren, am nächsten Tage um Z2 Uhr mittags lief der Zug mit einer Stimde fahrplanmäßiger Verspätung in Petersburg ein. Auf dem Bahnhof fand ich unse- ren Botschafter Fürst Radolin und den Militärattach6 Hauptmann Lauenstein, die eine volle Stunde auf mich gewartet hatten. Der erstere sagte mir, daß ich von Seiten des Kaiserlich russischen Hofmarschall- amts in dem Hotel d'Europe als Gast Sr. Majestät einquartiert sei, und daß Hofwagen und Lakai xu meiner Verfügung gestellt wären. Ich fuhr nun in mein Hotel, wo ich eine hübsche Wohnung, beste- hend aus Vorzimmer, Salon und Schlafzimmer bereit fand, dann in unsere Botschaft, lun daselbst mei- nen Besuch zu machen \md dort zum FrühstQck zu bleiben. Abends war ich mit Lauenstein zusam- men in der Oper. Das riesige, soeben neu restaurierte Haus, macht einen prächtigen Eindruck, es ist in Weiß und Gold gehalten, Vorhänge und Draperien aus blauem Damast. Es wurde das Ballett Copelia ge- geben, Und da die Russen das Ballett besonders lie- ben, ist auf Ausstattung und Personal ein großer Wert gelegt. Nie habe ich ein dankbareres Publikum gesehen. Jede Leistung wurde mit Stürmen des Bei- falls begrüßt, luid viele Solotänze mußten wiederholt werden. Am 30. September, dem folgenden Tage, war ich vormittags zx Uhr zur Audienz bei Sr. Maje- stät dem Zaren angesagt. Ich hatte schon tags vorher V* d*^ AH«iitantÄTi Hffc« o»»rfcBfür«»#in V^ladimir, ''^

Nach wenigen Minuten des Wartens wurde ich durch einen Kammerdiener, den Graf Benckendorff damit beauftragte, bei Sr. Majestät angemeldet Es war weder ein General, noch ein Plügeladjutant zu sehen. Der Kaiser soll so ziemlich ganz ohne militärische Umgebung leben; wie ich hörte, ist im Schloß außer dem Hofmarschall nur der Oberstallmeister und der Kommandeur des Leibkonvois anwesend. Ich trat nun, ziemlich belastet, in das Arbeitszimmer Sr. Ma- jestät. Ich war natürlich im Paradeanzug, hatte in der einen Hand den Helm und Säbel, in der andern den Brief unseres Kaisers, und unter dem Arm ein aufgerolltes Bild, das nach dem Entwurf unseres Kai- sers von dem Professor Knackfuß ausgeführt und im Steindruck vervielfältigt ist. Dieses Bild sollte ich gleichzeitig mit dem Brief übergeben. Der Zar kam mir sogleich mit ausgestreckter Hand entgegen und sagte mir: »Ich freue mich, Sie hier zu sehen, wir kennen uns ja schon.« Nachdem ich nicht ohne Schwierigkeit alle meine Gegenstände, zu denen noch der ausgezogene Handschuh der rechten Hand kam, in der linken konzentriert hatte, konnte ich die mir gütig dargebotene Hand annehmen. Ich überreichte dann den Brief und gab sodann eine Erläuterung des Bildes, bei dessen Aufrollung auf einem Tisch Se. Ma- jestät mir selber behilflich waren. Das Bild zeigt eine Gruppe weiblicher Figuren, die im antiken Ko- stüm, in der Art der Walküren, auf einem Felsvor- sprung stehen und über eine mit blühenden Städten, schiffbefahrenen Flüssen und beackerten Feldern be- deckte Ebene hinwegschauen. Sie stellen die euro- päischen Staaten vor. Im Vordergrunde Deutschland, eng an dasselbe geschmiegt Rußland, zur Seite Frank- reich, dahinter Osterreich, Italien, England usw.

nicht wüßte, ob Se. Majestät, mein allergnädigster Herr, gerade diese Stadt im Auge gehabt habe, daß aber Moskau sicherlich ebenso bedroht sein würde wie jede andere europäische Stadt. Nachdem das Bild besichtigt, hatte der Kaiser die Gnade, mich noch einer längeren Unterredung zu würdigen, und erteilte mir dann den Auftrag, das Antwortschreiben wieder an unseren Kaiser zurückzubringen. Nach- dem der Kaiser mich dann in gnädigster Weise ver- abschiedet, sagte er noch zu mir: 3»Sie wollen gewiß gerne die Kaiserin sehen, lassen Sie sich doch bei ihr anmelden.« Wie ich mich rückwärts zur Tür hinaus- dienerte, verlor ich einen Handschuh, der mir von dem Kammerdiener nachgebracht wurde. Ein aber- gläubischer Mensch würde hierin vielleicht ein Omen erblickt haben, was Gott und alle Heiligen verhüten wollen.

Ich ließ mich nun bei Ihrer Majestät anmelden. Nach kurzer Zeit wurde ich zur Kaiserin geführt, die mich ganz allein empfing. Es war auch hier keine Dame zugegen, und die Anmeldung erfolgte eben- falls durch einen Kammerdiener. Die Kaiserin sah vortrefflich aus. Sie hatte frische Farben, strahlende Madonnaaugen und sah in ihrem faltigen Trauerkleide aus wie eine wahre Kaiserin. Sie unterhielt sich sehr freundlich mit mir, ich mußte erzählen von dem Kaiser aus Rominten, von der Kaiserin und den Kin- dern, und wie sie mir zum Abschied die Hand reichte, führte ich sie mit der Empfindung an die Lippen, daß die Russen ihrem orthodoxen Gott wohl dankbar sein können, daß er einen solchen Lichtengel auf den Thron des Zarenreiches berufen hat. Von hier fuhr ich nun zu dem Palais des Großfürsten Wladimir, wo Versen mich empfing und mich alsbald zu SnKai- «erlirVien Hoheit führte der mi^-h freunHlir-h^f he-

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herrlichen Parkanlageii von Zarskoje Selo. Auf die Herstellung der weitläufigen Anlagen ist eine unge- heure Mühe verwendet Das Terrain ist durchw^ sumpfig, nur auf einzelnen festen Inseln, die in dem morastigen Wiesenboden liegen, wachsen schöne Baumgruppen, die freilich schon fast durchweg das Laub verloren hatten. Alle Wege (und es sind mei- lenlange breite Chausseen, von doppelten Eichen- alleen flankiert), sind aufgeschüttet. Sobald man vom Wege herunterkommt, versinkt man iin Sumpf. Dennoch macht das Ganze, dem viele ausgedehnte Wasserspiegel Abwechslung verleihen, ein land- schaftlich schönes Bild. Man fährt an vielen größe- ren luid kleineren Schlössern vorüber, an den Kaser- nen der Gardekavallerie-Regimenter, an. chinesischen Gebäudekomplexen, wo rachensperrende Drachen auf den Dächern und alte pensionierte Generale in den Häuschen sitzen und das Gnadenbrot des Zaren essen. Den Mittelpunkt bildet das große Palais der Kaiserin Katharina, die, wie Peter der Große Peters- burg, so ihrerseits Zarskoje Selo aus dem Sumpf hei> vorgestampft hat. Die Front des mächtigen Schlos- ses ist wohl zweimal so lang wie die des Neuen Pir lais. Das niedrige Dach wird getragen von dicken weißen Säulen, zwischen denen enorme Karyatiden, ganz vergoldet, in Form des die Welt tragenden Al- ias, sich unter der Last der Fenstersimse bücken. Zwei massive, hochragende Giebel unterbrechen die langgezogene Linie der Front, die zu beiden Seiten in kreisförmige Flügel ausläuft, an deren einen sieb die griechische Kirche mit ihren vielen zwiebelf önni* gen Kuppeln und hohen, blau gemalten Fenstern an-* schließt. Die mit dicker Goldbronze beschlagenen Kuppeln glänzen in der Sonne, und aus den max^ morweißen Wänden treten die himmelblauen Pen-

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Bahn, die überhaupt in Europa gebaut worden ist, und dadurch ein Unikum, daß ihre Spurbreite noch breiter ist als die der übrigen russischen Bahnen. Die hölzernen Stationsgebäude, die hölzernen Per- rons, die unendlich breiten, mit klapprigen Fenstern und schmutzigen, zerschlissenen Sitzsofas ausge- rüsteten Wagen, machen den Eindruck, als ob seit Erbauung der Bahn nichts daran geändert und nie etwas repariert worden wäre. Und trotzdem ist dies die befahrenste Bahn, denn im Sommer strömt all- nachmittäglich halb Petersburg hier heraus, um unter den taufeuchten, alten Bäumen auf den trockenen Wegen zu lustwandeln oder vor dem riesigen» aus Holz gebauten Musikpavillon zu sitzen, in dem von den besten Kapellmeistern täglich Konzerte gegeben werden. Es war fünf Minuten vor 3 Uhr, wie wir vor dem Bahnhofsgebäude hielten, das ungefähr aus- sieht, wie ein polnischer Ochsenstall. Um 3 Uhr ging der Zug, der mich nach Petersburg zurückbrachte.

Gestern abend habe ich wieder ein Diner unserer Botschaftsherren gehabt, diesmal aber waren wir un- ter uns. Graf Pückler, Du kennst ihn ja. Und Herr V. Romberg haben sich auf den jenseits der Newa ge- legenen Inseln gemeinsam eine Datsche gemietet, in deren kleinen Räumen sie ein gemütliches Sonmier- leben in friedlicher Ehe führen. Das andauernd gute Wetter gestattet ihnen noch draußen zu bleiben, ob- gleich die Saison längst vorbei ist. Beide hatten mich eingeladen, abends in ihrer Hütte zu speisen, und außer mir war noch Lauenstein und der erste Bot- schaftsrat, ein Herr von Tschirschky, dort Lauen- stein holte mich ab, und wir fuhren in meinem Hof- wagen hinaus. Trotz des wahnsinnigen Tempos, in dem hier alles, und allen voran die kaiserlichen Wa- gen fahren, brauchten wir über eine halbe Stunde,

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Bericht über die Abschiedsaudienz bei Sn

dem Kaiser von Rußland am 3. Oktober 1895.

St Petersburg, 3. Oktober 1895.

Am Vormittag des 2. Oktober erhielt ich durch Tele- gramm des Oberhofmarschalls Graf Benckendorff die Mitteilung, daß Se. Majestät der Kaiser mich am fol* genden Tage, vormittags iz Uhr, in Zarskoje Selo empfangen wollten.

Ich fuhr mit dem \un zo Uhr von Petersburg ab- gehenden sogenannten Hofzug azn S.Oktober nach Zarskoje Selo, wo ein Wagen für mich bereitstand Wieder wie bei meiner ersten Audienz wurde ich, im Alexander-Palais angelangt, durch den Gra- fen Benckendorff in das Vorzimmer Sr. Majestät ge- führt und sofort bei Allerhöchstdemselben angemel- det. In dem Vorzizzizner fand ich den Minister des Innern und einige Generale, die zuzn Vortrag befoh- len waren, und denen ich durch Graf Benckendorff vorgestellt wurde. Nach wenigen Minuten wurde ich zu Sr. Majestät hereinbefohlen.

Der Kaiser kam mir in liebenswürdigster Weise entgegen, reichte mir die Hand und fragte mich, wie mir Petersburg gefallen habe. Sodann fragte der Kai- ser nach Ew. Majestät und ließen Sich von Aller- höchstdero Aufenthalt in Rominten erzählen. Nach- dezn das Gespräch sich eine Weile uzn Jagd gedreht, fand ich Gelegenheit, Sr. Majestät zu znelden, daß ich am gestrigen Tage in der Peter-Pauls-Kathedrale ge* wesen und dort einen Kranz izn Auftrage Ew. Maje- stät auf dem Grabstein des hochseligen Kaisers Alex- ander III. niedergelegt habe, was Se. Majestät augen- scheinlich angenehzn berührte.

Dann sagte der Kaiser, Sich der französischen Sprache bedienend, während Er bis dahin deutsch ge-

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Dragomirow die Erlaubnis erteilt, nach Frankreich zu gehen, und ich werde in Zukunft vorsichtiger mit meinen Herren sein.«

Se. Majestät kamen sodann auf die französische Presse zu sprechen, äußerten Sich darüber, wieviel Unheil die Presse schon in der Welt angerichtet, und fuhren dann etwa fort: »Ich vermute, daß Se. Majestät in der Stille seines Jagdaufenthalts, wo keiner seiner Minister bei ihm war, erregt worden ist, durch die Lektüre der Zeitungsausschnitte, und ich kann dies vollkommen begreifen. Wenn man niu: in dieser Form die Nachrichten aus Frankreich liest, so kann ich mir denken, daß die Nachrichten von dort alarmierend wirken müssen. Ich selber habe mir die Zeitungs- ausschnitte verbeten, die man mir zuerst auch vor« legen wollte. Ich fürchte durch sie nur Kenntnis zu erhalten von einer bestimmten Richtung, die zu be* stimmen in der Hand desjenigen liegt, der Ausschnitte auswählt und anfertigt. Ich lese statt dessen eine deutsche (ich glaube, es ist die Kölnische, die ich wenigstens im Zimmer Sr. Majestät liegen sah), eine französische den Temps , eine englische und eine russische Zeitiuig, letztere nicht gern, denn sie taugen alle nichts, und indem ich so die verschie- denen Stimmen höre, suche ich mir mein Urteil sei* ber zu bilden. Ich lege aber nicht zu viel Wert auf die Zeitungen, denn ich weiß, wie sie gemacht wer* den. Da sitzt irgendein Jude, der sein Geschäft dabei macht, wenn er die Leidenschaften der Völker ge- geneinander aufhetzt, vmd das Volk, meist ohne eige- nes politisches Urteil, hält sich an die Phrase. Des- wegen werde ich auch die russische Presse nie frei- geben, solange ich lebe. Die russische Presse sott nur schreiben, was ich will (und dabei stießen Se. Majestät wieder mit dem Zeigefinger auf den Tisch),

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ser, daß ich die Ruhe aufrecht erhalten werde I Vor* läufig haben die Franzosen Madagaskar auf dem Buckel. Sie können nicht anders, als um der Bhre willen diese Sache durchführen. Sie müssen neue Kredite fordern und neue Truppen hinschicken. Das wird sie gewiß noch ein Jahr beschäftigen, so lange können sie an nichts anderes denken. Und wenn das Jahr vorbei ist, so garantiere ich Sr. Majestät, daß sie dann auch ruhig sein werden und sich femer ruhig verhalten werden. Es liegt mir außerordentlich vid daran, daß wir (Deutschland und Rxißland) die guten Beziehungen zueinander aufrecht halten. Wir sind gegen Sie noch weit zurück, haben unendlich viel zu tim im Inneren. Wir produzieren hauptsächlich Ge- treide, Sie industrielle Waren, die wir austauschen müssen. Ein Krieg zwischen uns würde beiden Völ- kern unendliches Elend bringen.«

Ich sagte: »Ew. Majestät kennen meinen allergni- digsteh Herrn selber gut genug, um zu wissen, daß Er in nichts anderem Seine Lebensaufgabe sieht, als darin. Seinem Volk eine friedliche Entwicklung zu ermöglichen.« Der Kaiser erwiderte: »Das weiß ich, und ich kann Sie versichern, auch ich will nichts von Krieg wissen, und werde streben, den Frieden zu er- halten, bis an das Ende meines Lebens. Ich will fort- fahren in der friedlichen Politik meines verstorbenen Vaters.« Auf den Brief Ew. Majestät zurückkom- mend, sagte der Kaiser dann noch: )»Se. Majestät mei- nen, daß ich infolge des Trauerjahres keine Gele- genheit hätte, mich genügend zu orientieren. Gans das Gegenteil ist der Fall. Gerade weil ich so stiU leben kann, habe ich mich eingehend mit allen Ver- hältnissen meines Reiches und der Politik beschäf- tigen können, und ich glaube mir das Zeugnis aus- stellen zu können, daß ich fleißig gearbeitet und vor

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wieder von Altona ab, und um 5 Uhr hielt der kaiser- liche Sonderzug in Friedrichsruh. Der Fürst Bis- marck erwartete die Ankunft Sr. Majestät Im Ober- rock und Helm, ohne Paletot, stand die reckenhafte Gestalt des Altreichskanzlers auf dem Perron. Der Kaiser stieg rasch aus imd begrüßte den Fürsten mit herzlichem Händedruck, er nötigte ihn, den Mantel umzunehmen, und nach kurzer Begrüßung des Ge- folges und der mit dem Fürsten erschienenen Her- ren, Grafen Rantzau und Professor Schwenninger, schritten wir alle dem Hause zu. In der Tür desselben stand die Gräfin Rantzau und im Vorzimmer ihre bei- den jüngsten Söhne.

Der Kaiser hatte für den Fürsten das illustrierte Werk über die deutsche Flotte von Wislicenus mit- gebracht, und während er dasselbe aufschlug, vm dem Fürsten die Zeichnungen zu erläutern, zogen wir uns in das Nebenzimmer zurück. Der Monarch imd der Altreichskanzler blieben alleine. Sie saßen sich gegenüber, jeder in einem großen Fauteuil an dem runden Tisch des kleinen Salons, die große Mappe mit den Zeichnungen der Schiffe lag zwi- schen ihnen. Von dem, was da etwa drei Viertel- stunden lang gesprochen wurde, hörten wir nichts, wir kamen bald in lebhafte Unterhaltung mit der Grä- fin Rantzau. So verging die Zeit rasch, bis um 6 Uhr gemeldet wurde, daß serviert sei. Der Kaiser gab der Grräfin Rantzau den Arm, um sie in das anstoßende Speisezimmer zu führen, wohin wir alle folgten. Wir waren zwölf Personen an der Tafel. An ihrer Spitze saß der Kaiser, zu seiner Linken der Fürst, zu seiner Rechten die Gräfin Rantzau. Es folgten dann auf der Seite des Fürsten General von Plessen, Admind von Senden, Kalckstein, Schwenninger, auf der Seite der präf in Exzellenz von Lucanus, Lyncker, Dr. Lreu^

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ren und wie sie sich im Gefecht gemacht hätten. Er erinnerte sich mit Vergnügen der prächtigen Erschei- nungen der Garde-Landwehr, die an der Seinebrücke Posten gestanden hätten und zu denen die kleinen Franzosen mit scheuer Verwunderung aufgeblickt hätten. Inzwischen war die lange Meerschaum- pfeife des Fürsten gebracht worden, er setzte sich in einen Lehnstuhl an den Tisch, nahm das große Bem- steinmundstück zwischen die Lippen und zündete sie an dem Streichholz an, das Professor Schwenninger bereithielt. Der Kaiser, welcher jenseits des Tisches im Sofa saß, sagte zu mir, ich möchte mich neben den Fürsten setzen und ihm etwas vom Zaren er- zählen. Ich setzte mich nun auf einen Stuhl dem Für- sten gegenüber imd erzählte ihm, daß Se. Majestät mich vor einiger Zeit nach Petersburg geschickt hät- ten, um dem Zaren das Bild des Professors Knack- fuß zu überreichen, und daß ich gefunden hätte, daß der Kaiser sich sehr zu seinem Vorteil entwickek hätte. Der Fürst unterbrach mich sehr bald mit der Frage: »Was ist denn der Zar für ein Mann? Ich meine, würde er sich entschließen können, vom Le- der zu ziehen?« Dabei machte er eine Handbewegung, als ob er das Schwert ziehen wollte. Ich erwiderte, daß nach meiner Ansicht der Zar hauptsächlich ein Gemütsmensch sei, worauf der Fürst sagte: »Damit wird er seine Gesellschaft nicht in Ordnting hatten. Hat er denn wenigstens den Willen, Herrscher m sein?« Ich erzählte nun, wie gelegentlich der Unter- redung, die der Zar mir gewährt, das Gespräch auf die Presse gekommen sei, und wie der Kaiser dabei geäußert habe : »Ich werde die russische Presse nicht freigeben, solange ich lebe. Eine freie Presse richtet das größte Unheil an. Die russische Presse soll nur schreiben, was ich will, und im ganzen Lande sau

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absolut oder konstitutionell regieren solle. Ich sagte ihm: ^Solange Ew. Majestät die Garde haben, können Sie sich den Luxus dieses Experiments ja erlauben, aber wenn einmal die Flut kommt, dann ist es doch ganz gut, wenn ein Damm da ist, der zwischen Ihnen und dem Volk steht. Aber so* lange die Garde da ist, können Sie ja das Experiment machen.* Mit den fünfzigtausend Mann Garde konnte Paris beherrscht werden und damit Franko reich. Das waren lauter ausgesuchte Truppen, große, schöne Leute, die den Hut fürquer aufgesetzt hat- ten imd die wußten, daß sie Paris beherrschten. Die Leute waren gut gestellt, sie konnten bei einer Veränderung nur verlieren, es konnte ihnen gar nicht besser gehen. Wenn sie auf der Straße gin- gen, wichen sie keinem Menschen aus, sie gingen immer zu zweien und wichen keinem beladenen Wagen aus.« Der Kaiser fragte : »Wer komman- dierte doch das Gardekorps damals?« Der Fürst er* widerte: »Darauf kommt es gar nicht an. Der Kaiser konnte sich unter allen Umständen auf sie verlassen. Wer sie kommandierte, darauf kommt es gar nicht an. Ich erinnere mich, daß wenn ich damals zum Vortrag ging, ich bisweilen einen verbotenen W^ benutzte. Wenn da einer von den kleinen Südfran- zosen auf Posten stand, so sagte ich bloß: ,Le mi- nistre de Prusse^ wenn aber einer von den Gar* disten dastand, so sagte der mir: ,Cela m'est tout k f ait ögalS« Alles lachte, und der Fürst lachte selber herzlich mit, mit großen, offenen Augen, und nur den Mund ein wenig verziehend, gleichsam wie er- staunt darüber, daß er einen Witz gemacht habe.

Der Fürst fuhr dann fort: »Ja, also, solange er diese fünfzigtausend Mann Garde hatte, da sagte ich Napoleon, könnte er das Experiment machen«

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geführten reizenden Entwurf zu einem Bismarck- denkmal für Rudolstadt, der im Nebenzimmer auf dem Tisch stand. Auf einem Sockel ist der Fürst als Student sitzend dargestellt. Die geschmeidige Figur lehnt lässig in einem Sessel, ein Knie über das an- dere geschlagen; die herabgesunkene rechte Faust hält den Schläger. Jugendliche Kühnheit, gepaart mit sicherer Energie sprechen aus der Figur. Ein großer Hund strebt von unten an dem Sockel zu seinem Herrn empor. Der Fürst nannte den Namen des Künstlers und erzählte, wie er sich dadurch haupt- sächlich zur Annahme habe bewegen lassen, daß der Hund auf dem Halsband den Namen Ariel trage, »und<( fügte er hinzu »so hieß mein Hund damals* In meinem Alter«, fuhr er dann fort, »muß man die Fluten im guten wie im schlimmen über sich ergehen lassen.«

Als ihm jemand sagte, die im guten könne er sich schon gefallen lassen, sagte er: »Nein, gegen die schlimmen kann man sich wehren, aber gegen die guten ist man machtlos.«

Der Kaiser verabschiedete sich nun von der Grä- fin Rantzau und ging, von dem Fürsten geleitet, zimi Zuge. Nachdem er dem Alten wiederholt die Hand gedrückt, bestieg er den Zug, der sich alsbald in Be- wegung setzte.

Der Fürst stand hochaufgerichtet da, die Hand zum militärischen Gruß an den Helm gelegt.

Palermo, 2. April 1896*

Der alte Graf Roger von der Normandie, der sein nordisches Schwert in diesen Boden stieß \ind ihm alle Wunder der edelsten Kunst entsprossen ließ, ist mir jetzt so vertraut, als hätte ich mit ihm zusammen- gelebt, und vor wenig Tagen noch ahnte ich nichts

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übrigen ist die Toxir selbst unglaublich öde, man fährt sechsunddreißig Stunden lang diu-ch Sumpf imd verkümmertes Holz, sieht elende Hütten auf fla- cher Gegend und könnte meinen, immer am selben Ort zu sein, so sehr gleicht ein Teil der weiten Land- schaft dem andern. Seit heute morgen, wo wir Smo- lensk lun 5 Uhr passierten, hat es geregnet, stellen- weise etwas geschneit.

In Warschau gestern morgen meldete sich der Ehrendienst, ein General Graf Puschkin und ein Admiral Fürst Scharawskoy beim Prinzen Heinrich. Wir wechselten hier den Zug, da wir von dort ab auf die breitspurige russische Bahn kamen. Der russische Sonderzug, der uns von dort ab gestellt wurde, war bequem und gut eingerichtet, hatte aber furchtbar schlechte Achsen, so daß wir entsetzlich gerüttelt worden sind. Nun sind wir in unserem Quartier, einem hübschen Hause, das einem reichen Kaufmann gehört und von ihm gemietet worden ist. Wir woh- nen hier: General v. Villaume, General v. Bülow, Klinckowström und ich. Von den Besitzern ist kein Mensch da. Der Prinz wohnt ims schräg vis-ä-vis. Außer Wasser und Schmutz habe ich bis jetzt von Moskau nichts gesehen.

Moskau, 20. Mai x8g6.

Wir waren gestern nachmittag im Petrof sky-Pahds, imi ims beim Kaiser zu melden. Man fährt fast eine Stunde bis hinaus. In dem Palais wohnte Kaiser Na- poleon bei seiner Anwesenheit in Moskau. Der Kai- ser und die Kaiserin empfingen beide unsere gesamte Deputation. Sie ist viel stärker geworden, sie sah sehr schön aus in einem einfachen, grauen Kleid. Der Kai- ser sah sehr elend, blaß und angegriffen aus, es mag auch ein^ anstrengende Zeit f lir ibn sein- Beide Maje-

vorüberkoxnxnen sollte. Die Truppen, zirka tausend Mann, bildeten Spalier auf dem ganzen acht Kilometer langen Wege bis zum Kreml. Draußen im Palais versammelten sich alle Suiten, die ein Gefolge von gegen dreihundert Reitern bildeten. Wir mußten fast drei Stunden warten, bevor der Zug sich in Be- wegung setzte. Endlich kamen die Pferde, auf die wir gesetzt werden sollten. Nun fuhren die golde- nen, mit edlen Steinen geschmückten Kutschen für die Kaiserin und die Kaiserin-Mutter vor, jede mit acht Schimmeln bespannt, dann setzte sich der Kai- ser zu Pferde. Er ritt ebenfalls einen Schimmel. Da wir uns gleich den Fürstlichkeiten anschließen muß- ten, di^ ihm unmittelbar folgten, sahen wir von dem Zuge nur einen Teil, um so interessanter war es, die Truppen und das Volk im Vorbeireiten zu sehen. Erstere sahen sehr gut aus. Die schönen Uniformen der Chevalier garde, der Garde ä cheval, der Grenar diere zu Pferde, der Gardekosaken, die lange schar- lachrote Röcke tragen, der Uralschen Kosaken, die himmelblau angezogen sind, mit blauen Lanzen und dito Schabracken, leuchteten in der Sonne. Dann kam das Paulowsksche Grenadier-Regiment, mit Grena- diermützen, in das zur Erinnerung an den Kaiser Paul nur Leute mit Stumpf nasen eingestellt werden, schließ- lich das Preobratschenske Regiment, das unserem X. Garde-Regiment entspricht. Die ganze lange Straße war dick mit Sand bestreut, zu beiden Seiten standen die Tausende, die herbeigeströmt waren, um zu schauen. Alle Bämne saßen voll Menschen, es sah aus, als ob sie mit riesigen Raupen bedeckt wä- ren. — Alles Volk stand entblößten Hauptes da und rief seinem Väterchen ein rollendes Hurra zu. Die Begeistening leuchtete den Leuten aus den Augen.

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nere des Kremls. Hier wurde vom Pferde gestie- gen, und nun betrat das Kaiserpaar die beiden inneren Kirchen nacheinander, um eine kurze Andacht zu ver- richten. Damit war die Zeremonie für uns beendet Abends waren wir in der Oper und machten dann eine Rundfahrt durch die illuminierte Stadt. Was illu- minieren heißt, habe ich erst hier kennen gelernt Tausende und Abertausende von bimten Glaslämp- chen bedecken die Gebäude. Ganze Kirchen ragen, aus Licht bis zur höchsten Turmspitze gebaut, in den dunklen Nachthimmel, ein feenhafter Anblick. Mitten durch die dichtgedrängte Menge fuhren wir. Man hört kein lautes Wort, kein Schreien, kein Schimp- fen. Alles macht dem Hofwagen als selbstverständ- lich Platz, viele Leute ziehen den Hut und machen tiefe Verbeug^ungen, während unser Wagen sie zur Seite drängt!

Moskau, 25. Mai 1896.

Jetzt haben wir angefangen, uns Kirchen, Galerien und andere Sehenswürdigkeiten anzusehen. Ich ver^ suche meine Eindrücke, wenn auch nur in skizzen- hafter Form, in meinem Tagebuch festzuhalten, aber sie stürmen so massenhaft auf mich ein, daß ich schwer Ordnung hineinbringe. Wir haben das Innere des Kremls wenigstens zum Teil gesehen. Der Kreml ist eine Stadt für sich mit zwei großen Schlössern, Kaserne, Arsenal, fünf bis sechs Kirchen, drei Klö- stern, Kavalierhäusem, Stallungen usw. Das Ganze umschlossen von hoher, kremelierter Mauer mit fünf Toren. Hier ist das Heilige Tor, das Sspassky Tor, durch das kein Russe bedeckten Hauptes gehen darf. Vor demselben stets eine dichtgedrängte Menge Pil- ger, armes Volk, das aus dem weiten Zarenreich zu* ^anunenströmt, um im heiligren Mo8kA.u seipe An-

absolut oder konstitutionell regieren solle. Ich sagte ihm : ^Solange Ew. Majestät die Garde haben^ können Sie sich den Luxus dieses Experiments ja erlauben, aber wenn einmal die Flut kommt, dann ist es doch ganz gut, wenn ein Damm da ist, der zwischen Ihnen und dem Volk steht. Aber so- lange die Garde da ist, können Sie ja das Experiment machen.* Mit den fünfzigtausend Mann Garde konnte Paris beherrscht werden und damit Pranke reich. Das waren lauter ausgesuchte Truppen, große, schöne Leute, die den Hut fürquer aufgesetzt hat- ten und die wußten, daß sie Paris beherrschten. Die Leute waren gut gestellt, sie konnten bei einer Veränderung nur verlieren, es konnte ihnen gar nicht besser gehen. Wenn sie auf der Straße gin- gen, wichen sie keinem Menschen aus, sie gingen immer zu zweien und wichen keinem beladenen Wagen aus.« Der Kaiser fragte : »Wer komman- dierte doch das Gardekorps damals?« Der Fürst ei^ widerte: »Darauf kommt es gar nicht an. Der Kaiser konnte sich unter allen Umständen auf sie verlassen. Wer sie kommandierte, darauf kommt es gar nicht an. Ich erinnere mich, daß wenn ich damals zum Vortrag ging, ich bisweilen einen verbotenen Weg benutzte. Wenn da einer von den kleinen Südfran- zosen auf Posten stand, so sagte ich bloß: ,Le mi- nistre de Prusse^ wenn aber einer von den Gar- disten dastand, so sagte der mir: ,Cela m'est tout k f ait 6gal^« Alles lachte, und der Fürst lachte selber herzlich mit, mit großen, offenen Augen, und nur den Mund ein wenig verziehend, gleichsam wie ei> staunt darüber, daß er einen Witz gemacht habe.

Der Fürst fuhr dann fort: »Ja, also, solange er diese fünfzigtausend Mann Garde hatte, da sagte ich Napoleon, könnte er da» Exp'^nmen* mi^cbmi

geführten reizenden Entwurf zu einem Bismarck- denkmal für Rudolstadt, der im Nebenzimmer axif dem Tisch stand. Auf einem Sockel ist der Fürst als Student sitzend dargestellt. Die geschmeidige Figur lehnt lässig in einem Sessel, ein Knie über das an- dere geschlagen; die herabgesiuikene rechte Faust hält den Schläger. Jugendliche Kühnheit, gepaart mit sicherer Energie sprechen aus der Figur. Ein großer Hund strebt von unten an dem Sockel zu seinem Herrn empor. Der Fürst nannte den Namen des Künstlers und erzählte, wie er sich dadurch haupt- sächlich zur Annahme habe bewegen lassen, daß der Hund auf dem Halsband den Namen Ariel trage, »und« fügte er hinzu »so hieß mein Hund damals. In meinem Alter«, fuhr er dann fort, »muß man die Fluten im guten wie im schlimmen über sich ergehen lassen.«

Als ihm jemand sagte, die im guten könne er sich schon gefallen lassen, sagte er: »Nein, gegen die schlimmen kann man sich wehren, aber gegen die guten ist man machtlos.«

Der Kaiser verabschiedete sich nun von der Grä- fin Rantzau und ging, von dem Fürsten geleitet, zum Zuge. Nachdem er dem Alten wiederholt die Hand gedrückt, bestieg er den Zug, der sich alsbald in Be- wegung setzte.

Der Fürst stand hochaufgerichtet da, die Hand zum militärischen Gruß an den Helm gelegt.

Palermo, 2. April z8g6.

Der alte Graf Roger von der Normandie, der sein nordisches Schwert in diesen Boden stieß und ihm alle Wunder der edelsten Kunst entsprossen ließ, ist nir jetzt so vertraut, als hätte ich mit ihm zusammen- gelebt, und vor wenig Tagen noch ahnte ich nichts

übrigen ist die Tour selbst unglaublich öde, man fährt sechsunddreißig Stunden lang durch Sumpf und verkümmertes Holz, sieht elende Hütten auf fla- cher Gegend und könnte meinen, immer am selben Ort zu sein, so sehr gleicht ein Teil der weiten Land- schaft dem andern. Seit heute morgen, wo wir Smo- lensk um 5 Uhr passierten, hat es geregnet, stellen- weise etwas geschneit.

In Warschau gestern morgen meldete sich der Ehrendienst, ein General Graf Puschkin und ein Admiral Fürst Scharawskoy beim Prinzen Heinrich. Wir wechselten hier den Zug, da wir von dort ab auf die breitspurige russische Bahn kamen. Der russische Sonderzug, der uns von dort ab gestellt wurde, war bequem und gut eingerichtet, hatte aber furchtbar schlechte Achsen, so daß wir entsetzlich gerüttelt worden sind. Nun sind wir in unserem Quartier, einem hübschen Hause, das einem reichen Kaufmann gehört luid von ihm gemietet worden ist. Wir wehr nen hier: General v. Villaume, General v. Bülow, Klinckowström und ich. Von den Besitzern ist kein Mensch da. Der Prinz wohnt uns schräg vis-ii-vis. Außer Wasser und Schmutz habe ich bis jetzt von Moskau nichts gesehen.

Moskau, 20. Mai x8g6.

Wir waren gestern nachmittag im Petrof sky-Palais, um uns beim Kaiser zu melden. Man fährt fast eine Stiuide bis hinaus. In dem Palais wohnte Kaiser Na- poleon bei seiner Anwesenheit in Moskau. Der Kai- ser und die Kaiserin empfingen beide unsere gesamte Deputation. Sie ist viel stärker geworden, sie sah sehr schön aus in einem einfachen, grauen Kleid. Der Kai- ser sah sehr elend, blaß und angegriffen aus, es mag auch eine anstr-^neende Zeit fijr ^^ry «em. Beide Maje-

vorüberkomxnen sollte. Die Truppen, zirka fünfzig- tausend Mann, bildeten Spalier auf dem ganzen acht Kilometer langen Wege bis zum Kreml. Draußen im Palais versammelten sich alle Suiten, die ein Gefolge von gegen dreihundert Reitern bildeten. Wir mußten fast drei Stunden warten, bevor der Zug sich in Be- wegung setzte. Endlich kamen die Pferde, auf die wir gesetzt werden sollten. Nun fuhren die golde- nen, mit edlen Steinen geschmückten Kutschen für die Kaiserin und die Kaiserin-Mutter vor, jede mit acht Schimmeln bespannt, dann setzte sich der Kai- ser zu Pferde. Er ritt ebenfalls einen Schimmel. Da wir uns gleich den Fürstlichkeiten anschließen muß- ten, di^ ihm unmittelbar folgten, sahen wir von dem Zuge nur einen Teil, um so interessanter war es, die Truppen und das Volk im Vorbeireiten zu sehen. Erstere sahen sehr gut aus. Die schönen Uniformen der Chevalier garde, der Garde ä cheval, der Grena- diere zu Pferde, der Gardekosaken, die lange schar- lachrote Röcke tragen, der Uralschen Kosaken, die himmelblau angezogen sind, mit blauen Lanzen und dito Schabracken, leuchteten in der Sonne. Dann kam das Paulowsksche Grenadier-Regiment, mit Grena- diermützen, in das zur Erinnerung an den Kaiser Paul nur Leute mit Stumpf nasen eingestellt werden, schließ- lich das Preobratschenske Regiment, das unserem I. Garde-Regiment entspricht. Die ganze lange Straße war dick mit Sand bestreut, zu beiden Seiten standen die Tausende, die herbeigeströmt waren, um zu schauen. Alle Bäume saßen voll Menschen, es sah aus, als ob sie mit riesigen Raupen bedeckt wä- ren. — Alles Volk stand entblößten Hauptes da und rief seinem Väterchen ein rollendes Hurra zu. Die Begeisterung leuchtete den Leuten aus den Augen.

Wahrhaft impr'^ai^*' ^»^af t\f^r "Rlirlr qnf Hie P^r^B^ Amf

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nere des Kremls. Hier wurde vom Pferde gestie- gen, und nun betrat das Kaiserpaar die beiden inneren Kirchen nacheinander, um eine kurze Andacht zu ver- richten. Damit war die Zeremonie für uns beendet Abends waren wir in der Oper und machten dann eine Rundfahrt durch die illuminierte Stadt. Was illu- minieren heißt, habe ich erst hier kennen gelernt Tausende und Abertausende von bunten Glaslämp- chen bedecken die Gebäude. Ganze Kirchen ragen, aus Licht bis zur höchsten Turmspitze gebaut, in den dunklen Nachthimmel, ein feenhafter Anblick. Mitten durch die dichtgedrängte Menge fuhren wir. Man hört kein lautes Wort, kein Schreien, kein Schimp- fen. Alles macht dem Hofwagen als selbstverständ- lich Platz, viele Leute ziehen den Hut und machen tiefe Verbeugungen, während unser Wagen sie zur Seite drängt I

Moskau, 25. Mai 1896.

Jetzt haben wir angefangen, uns Kirchen, Galerien und andere Sehenswürdigkeiten anzusehen. Ich ver- suche meine Eindrücke, wenn auch nur in skizzen- hafter Form, in meinem Tagebuch festzuhalten, aber sie stürmen so massenhaft auf mich ein, daß ich schwer Ordnimg hineinbringe. Wir haben das Innere des Kremls wenigstens zum Teil gesehen. Der Kreml ist eine Stadt für sich mit zwei großen Schlössern^ Kaserne, Arsenal, fünf bis sechs Kirchen, drei Klö- stern, Kavalierhäusem, Stallungen usw. Das Ganze umschlossen von hoher, kremelierter Mauer mit fünf Toren. Hier ist das Heilige Tor, das Sspassky Tor, durch das kein Russe bedeckten Hauptes gehen darf. Vor demselben stets eine dichtgedrängte Menge Pil- ger, armes Volk, das aus dem weiten Zarenreich zu- sammenströmt, um im heiligen Moskau seine An-

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gefärbt, als Zinnen und Spitzen in verwirrender Masse, ganz unmöglich, sie zu zählen. Im Hinter- grunde liegen die dunkel bewaldeten Sperlingsberge, von denen aus Napoleon einst auf die Stadt blickte, die ihm so verhängnisvoll werden sollte; bis in die weiteste Feme leuchten Klöster von Mauern um- schlossen herüber. Unaufhörlich durchtönt Glok- kenklang die Luft und auf den Straßen flutet ein ge- drängtes Leben von Droschken, Drei- und Vier- spännern, alle Pferde nebeneinander gehend.

Heute morgen hatte der berühmte Li-Hung-Tschang Audienz beim Prinzen. Wir waren alle zugegen und wurden dem großen Chinesen vorgestellt. Die Unter- haltung ging per Dolmetsch. Ich interessierte ihn be- sonders wegen Onkel Helmuth. Er sieht äußerst in- teressant aus, ein kluges, geistvolles Gesicht. Die be- rühmte gelbe Jacke hatte er an. Nachher haben wir die Wiege der Romanows, das alte Bojarenhaus besucht, in dem der Stammhalter des jetzt regierenden Geschlechts geboren wurde, höchst interessant. Dann die wüsteste Ausgeburt architektonischer Phan- tasie, die Kirche Wassily-Blashen3Hi, die von Iwan dem Schrecklichen gebaut wiu*de. Femer sahen wir eine Gemäldegalerie, in der nur russische Künstler vertreten sind, mit einem interessanten Porträt Tol- stois.

Moskau, 27. Mai 1896.

Gestern fand die Krönung bei herrlichstem Wetter statt. Die Russen haben wirklich Glück mit diesen Veranstaltungen. Ebenso wie der Tag des Einzugs war es auch gestern am Krönimigstage das herr- lichste Wetter. Die Sonne brannte mit fast südlicher Glut vom wolkenlosen Himmel. Bei Regenwetter würde auch die Krönung eigentlich gar nicht statt-

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verkündeten Trompetenstöße, daß der Zug sich in Bewegung setze. Alles entblößte die Häupter. Ein rollendes Hurra stieg aus den hundertsprachigen Kehlen der Massen, die in Erregung durcheinander- drängten. Der ganze weite Hof, umsäumt von zahl- reichen Tribünen, auf denen die hellen Toiletten der Damen schimmerten, dazwischen die leuchtenden Uniformen der spalierbildenden Truppen, das Ganze umstanden von den goldgedeckten Türmen und Kir- chen und von der hohen Front des alten Zaren- schlosses und überflutet von glühendem Sonnenlicht, machte schon an und für sich einen zauberhaften Eindruck. Und auf der mitten durch das Gewirre führenden roten Plankenbahn zog nun der Krönungs- zug in seiner ganzen orientalisch märchenhaften Pracht an uns vorüber nach der Kathedrale, an deren Portal der Metropolit von St. Petersburg, umgeben von der hohen Geistlichkeit mit dem heiligen Bilde der Mutter Gottes stand, um den Eingang des Kaiser- paares zu segnen. Fast eine Viertelstunde dauerte es, bis der ganze Zug vorüber war. Da kam zuerst eine Abteilung Chevalier garde, dann die Pagen, die Zeremonienmeister, die Syndikate des ganzen Rei- ches, die Munizipalitäten, Delegierte des Adels, der Bürgerschaft, des Handelsstandes, der Künstlerschaft, dann endlose Kammerherren in goldüberladenen Uni- formen, die Vertreter der Universitäten, der Mini- sterien, die Delegierten der verschiedenen Kosaken- stämme, die Adelsmarschälle, die Generalsynode, die Senatoren, der Staatsrat, Herolde, die Schloßgarde, dann in feierlichem Pomp die Reichsinsignien, die Reichsfahne und Schwert, Krone, Zepter, Apfel, Män- tel usw., ein Peloton der Chevalier garde der Kaiserin, die Oberhof- und Hof marschälle und endlich der Kai- ser und die Kaiserin unter einem goldenen Baldachin

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lichkeit, angejubelt vom ganzen Volk, bedeckt mit den Schätzen der Erde, ein höheres Wesen, in des- sen Hand das Wohl und Wehe ungezählter Mil- lionen liegt. Dies Volk und dies Reich braucht eine solche äußere Schaustellung, und man tut weise daran, sie in allen Stücken nach altgeheiligtem Ritus aufrechtzuerhalten. Religion und Weltherrschaft sind hier so innig verschmolzen, daß keins vom anderen zu trennen ist, ohne daß beide sich verbluten. Man muß dies alles gesehen haben, lun zu begreifen, wes- halb in Rußland die orthodoxe Kirche oft mit dra- konischer Strenge durchgeführt wird, um zu ver- stehen, wie es möglich ist, dies endlose Reich, das vom ewigen Eis des Nordens bis zum ewigen Som- mer des Südens reicht, in einem Gedanken zusam- menzufassen und zu erhalten. Nur die absolute Ge- walt, getragen von der allgemeinen orthodoxen Kirche, kann Rußland regieren, und jeder Riß zwischen die- sen beiden Grundpfeilern würde das ganze riesige Gebäude zum Einsturz bringen.

Nachdem der Krönungszug alle Kirchen passiert, steigen Kaiser und Kaiserin die rotbelegte Freitreppe zum Schloß hinauf. Oben angekommen, wandten beide sich um und grüßten das Volk mit dreimaliger Verbeugung. Die beiden Majestäten sahen prächtig aus, die edlen Steine auf ihren Häuptern blitzten in der Sonne, die Figuren umwallten die weiten Falten der Hermelinmäntel, es schien, als ob der Hinmiel einen segnenden Kuß über sie hinhauchte und alle die Tausende, die draußen auf den Knien gelegen hatten, während in der Kirche ihr Kaiser gesalbt wurde, jubelten zu dem Herrscherpaar hinauf, man fühlte sich umströmt von der Flut der Segenswünsche, der Begeisterung und der monarchischen Treue eines ganzen Volkes.

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Es ist auch ganz unmöglich, den Eindruck wieder* zugeben. Laß Deine Phantasie ins Ungemessene schweifen und Du wirst noch lange nicht die Wirk- lichkeit erreichen. Hier hört jedes Denken auf. Selbst wenn man diese Illumination sieht, hält man sie für unmöglich. Man faßt sich an die Stirn und fräg^ sich, ob man bei klarem Verstände ist oder ob man Fieber- phantasien hat Und drei Abende hintereinander soll sich dies Schauspiel erneuern!

Moskau, 30. Mai i8g6.

Der Trubel der letzten Tage war groß. Wir waren permanent unterwegs von morgens bis abends, ohne Pause. Wir hatten große Gratulationscour, die Stunden dauerte. Einzeln vorbeidefiliert mit zwei Ver- beugungen. Die Kaiserin reichte mir die Hand zum Kuß, nie habe ich einer Fürstin mit mehr Freude die Hand geküßt! Gestern waren wir mit dem Prinzen Heinrich im Lager. Wir fuhren morgens nach dem Pe- trof sky-Palais, wo wir Pferde vom Marstall bekamen. Es war interessant, das Lager zu sehen, in dem drei Inf anterie-und eine Kavallerie-Division sowie zwei Bri- gaden Artillerie liegen. Die Leute sind teils in Holz- baracken, teils in Zelten untergebracht. Wir ritten ge- gen drei Stunden durch das Lager. Abends war Galaoper. Das riesige Haus sah prächtig aus. Die Ränge mit juwelengeschmückten Damen, das Par- terre mit Offizieren besetzt. Brausendes Hurra und Nationalhjrmne begrüßte die Majestäten, die, gefolgt von allen Großfürsten und Prinzen, in die große Hof- loge traten. Es wurde ein Akt aus der Oper »Das Leben für den Zar« gegeben. Die Pracht der Kostüme war imgeheuer, wie überhaupt der Luxus, der hier entwickelt wird, alles hinter sich läßt, was ich bisher gesehen. Am Schluß wurde wieder die National-

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werden wie ein ausgedienter Gaul, dem man wider- willig ein Gnadenbrot gibt, würde mir unerträglich sein. Dann lieber vorher von selber gehen. So habe ich die Zuversicht zu mir selber, daß ich mein Exa- men als Regimentskommandeur gut bestehen und mir damit die Berechtigung erwerben werde, mit gutem Gewissen auf der militärischen Stufenleiter weiterzu- klettem, solange Kraft und Gesundheit ausreichen.

Breslau, 6. September z8g6.

Gestern morgen 6Vs Uhr nach Brieg gefahren, wo wir warteten, bis der russische Sonderzug einlief. Wir wurden in einem sehr schön ausgestatteten Salon- wagen verstaut, wo wir die Bekanntschaft der russi- schen Begleitung machten. Nach einer halben Stunde erschienen der Kaiser und die Kaiserin, um uns zu begrüßen. Der Kaiser hatte die Uniform des Alexan- der-Regiments an, die ihn nicht besonders kleidet. 1^ sah blaß und kränklich aus, war sehr liebenswürdig und sprach mit jedem einzeln von uns. Auf dem Bahnhof Breslau war großer Empfang, unser Kaiser und Kaiserin standen auf dem Perron. Die Begrüßung sehr herzlich, Ehrenwache, ein Gewimmel von Fürsten, Prinzen, Generalen usw. Wir begaben ims in das Landeshaus, wo wir eine Stunde hatten, um uns zur Parade fertig zu machen. Diese fand bei schö- nem Wetter statt. Der russische Kaiser führte das Alexander- Regiment zweimal sehr nett vorbei. Abends Paradediner und dann großer Zapfenstreich.

Die Anrede des Kaisers beim Diner wirst Du in der Zeitung gelesen haben, sie war sehr gut, maßvoll und doch warm. Die Antwort des Zaren geben tlie Zeitungen nach russischer Redaktion etwas abge- schwächt wieder, er sagte wirklich : )> Je remercie votre majestö et la ville de Breslau pour le bon acceullle

as6

um mein Regiment zu übernehmen. Ich komme ge* rade zum großen Korpsmanöver zurecht, fasse gleich zwei Biwaknächte und werde so mit einem Schlage mitten in die Praxis des Soldatenlebens hineinver- setzt, die ich seit zwanzig Jahren nicht mehr kennen- gelernt habe. Ich bin Flügeladjutant geblieben. Daß ich das Regiment bekommen hätte, sagte mir der Kai- ser am letzten Manövertage. Er war sehr gütig, sagte mir: »Nun, ich denke, der Zar wird mit dem neuen Kommandeur zufrieden sein.« Nicht wahr, Du siehst ein, daß ich recht habe, wenn ich etwas »auf die Front« gedrängelt habe. Der Kaiser hat's mir nicht übel genommen, das fühle ich gut genug. Es wird sehr wunderbar für mich werden, wenn ich zum er- stenmal den Degen vor der Front des Regiments ziehe und fünfundvierzig Offiziere und zweitausend Mann auf mein Kommando hören. Ich freue mich sehr dar- auf und besonders, daß ich gleich im Manöver füh- ren kann.

St Petersburg, g.März xSgy.

Durch meine Depesche hast Du ersehen, daß ich wohlbehalten hier angekonunen bin. Ich hatte gerade Zeit, mich umzuziehen, um dann sofort wieder auf die Bahn und nach Zarskoje Selo zu fahren, da Se. Majestät der Kaiser mich noch am selben Nachmit- tag empfangen wollten. Heute wurde ich von der alten Großfürstin Konstantin in einer langen Audienz empfangen und darauf von ihrem Sohn, dem Groß- fürsten Konstantin und dessen Gemahlin, einer Prin- zeß von Anhalt Morgen hat mich der Großfürst Wladimir zum Frühstück eingeladen.

St. Petersburg, xi.März 1897.

Die Woche geht so sachte hin, ich sitze unbeweg- lich hie^'i^nH weiß DO<*h nirht einmal 'vqnn ich Über-

halb Liter Hoffmannsche Tropfen, wurde massiert und mit Prießnitzschem Umschlag behandelt. Nach einigen Stunden war der Anfall vorüber. Obermor- gen habe ich Regimentsbesichtigung, da kannst Du mir den Daumen halten, denn natürlich werde ich für meine Person besichtigt, damit meine Herren Vor- gesetzten ein Urteil darüber gewinnen, wie töricht ich etwa bin.

Berlin, 3. Juli 1897.

Meine heutige Regimentsvorstellung ist sehr gut verlaufen. Der Divisionskommandeur und eine Menge Zuschauer waren zugegen. Die Kritik fiel sehr gut aus luid alles war befriedigt. Ich habe dann meinen Offizieren Adieu gesagt und bin mittags hierher ge- fahren. Von hier geht es morgen früh weiter nach Travemünde. Ich kann es noch nicht verwinden, vom Regiment f ortziunüssen.

Norwegen, Odde, i2.Juli 1897.

Gestern wurde Se. Majestät von einem herunterfal- lenden Tauende am Auge verletzt imd am selben Nachmittags kam der Leutnant von Hahnke, der Sohn des alten General v. Hahnke, der auf der »Hohenzol- lem« im Dienst war, ums Leben. Die Matrosen sa- gen, das ganze Unglück kommt daher, daß ein Pastor an Bord ist.

Die Verletzung des Kaisers ist eine ganz unbedeu- tende, die Sache wird in ein paar Tagen vorüber sein, er kommt heute schon wieder an Deck. Das Un- glück mit dem jungen Hahnke hat sich folgender- maßen zugetragen. Einige der Schiffsoffiziere woll- ten eine Partie nach dem zwanzig Kilometer von Odde entfernten Lotefoß machen. Hahnke und ein Leutnant v. Levetzow per Rad, ein anderer Offizier mit einem Beamten fuhr mit Karriol hinterher. Leut-

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noch rasch mit der Hand an die Stange gegriff en, das Rad sei aber vom an einen Prellstein gestoßen, habe sich überschlagen und der Herr sei kopfüber hinab- gestürzt. Im Fallen habe er einen lauten Schrei aus- gestoßen. Eine kurze Strecke abwärts sei er noch ein- mal aus dem Strudel aufgetaucht, habe beide Arme in die Luft geworfen und nochmals einen Schrei aus- gestoßen, im selben Augenblick sei er verschwun- den. — Seit gestern nachmittag wird der Phiß von Matrosen mit Netzen und Greifankem abgesucht. Heute sind hundertzwanzig Mann an der Arbeit, es ist keine Spur des Verunglückten gefimden. Wenn die beiden Jungen nicht wären, verschwand Hahnke von der Erde, ohne daß jemals ein Mensch gewußt hätte, wo er geblieben sei. Der arme Vater, der in Karlsbad zur Kur ist, ist durch den ältesten Sohn, der telegraphisch benachrichtigt wurde, von dem Un- glück unterrichtet. Der Kaiser, selber liegend, war tief ergriffen und will hier bleiben, bis die Leiche gefun- den. Stahlheim usw. ist natürlich aufgegeben, und tiefe Niedergeschlagenheit herrscht auf dem ganzen Schiff.

Odde, 14. Juli 1897.

Wir sind drei Tage hier geblieben, um Nachfor- schungen nach der Leiche des jungen Hahnke anzu- stellen. Es ist mit hundertvierzig Mann tagaus tagein gearbeitet worden, um sie zu finden, doch völlig re- sultatlos. Der reißende Gebirgsstrom, der ihn ver- schlungen, hat nichts wieder herausgegeben. Es sind in dem felsigen Flußbett so tiefe Wirbel und unter- höhlte Felsen, daß sie aller Versuche spotten, mit Greif ankern usw. hinabzugelangen. So muß die Hoff- nung aufgegeben werden, der Leiche ein Grab in deutscher Erde bereiten zu können, der Elf hält ihn fest und umrauscht ihn mit seinem kühlen Wasser in

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ten über den Horizont herabsank, dann etwa zehn Minuten stehen blieb, das Schiff und die fernen Berg- spitzen der Lofoten mit purpurnem Schein überflu- tete und dann wieder langsam emporstieg. Der Fürst von Monako kam zu uns an Bord, um, den Fang zu zeigen, den er mit seinem Schleppnetz ge- macht hatte. Er brachte mehrere große Glasgefäße mit, in denen in Spiritus abermals eine Anzahl gräß- licher Tiere waren. Da waren große Seespinnen, mit Beinen so lang wie dieser Briefbogen hoch ist, See- gurken, die aussehen wie greuliche, dicke Blutegel, die vorne und hinten eine Offnimg haben, damit der Schlamm des Meeres durch sie hindurchfließen kann. Usw. usw. Mit einem Wort, eine Sammlung von Gräßlichkeiten, die aber höchst interessant war. Man fragt sich, wozu alle diese Bestien existieren. Was ist die Absicht der Schöpfung mit ihnen? Wird man vielleicht zur Strafe schlechten Lebens später in eine Seegurke verwandelt und muß nun in tiefer Finster- nis den Schlamm schlucken?

Auf der Fahrt nach Kiel, i. August 1898.

Die Nachricht vom Tode des Fürsten Bismarck kam gestern morgen in Bergen an, ganz unerwartet, denn die Depeschen, die Se. Majestät über den Fürsten von Professor Schwenninger zuletzt erhalten hatte, lau- teten durchaus beruhigend. So hatten wir keine Ah- nung von dem, was ganz Deutschland wußte, daß es mit dem alten Recken zu Ende ging. Der Kaiser be- fahl nun die beschleunigte Rückkehr. Die Depesche des Kaisers an den Sohn Bismarcks, in welcher der- selbe sagt, daß er den Fürsten in der HohenzoUem- gruft neben seinen Ahnen beisetzen wolle, wirst Du wohl schon in der Zeitung gelesen haben. Die Söhne antworteten dankend, daß der Fürst selber den Platz

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kunft in Paris auf dem Bahnhof von einem eigens dazu geschickten Obersten en parade von dem Maison militaire des Präsidenten und einem höheren Zivil- beamten empfangen. Wir fanden zwei Wagen, die vom Elys^e für uns gestellt waren. Gegen vierzig Poli- zisten waren aufgeboten, die einen ununterbroche- nen Ring um uns bildeten und sofort jeden beim Kragen kriegten, der nur den Hals vorstreckte, um uns anzusehen! Einige Pfiffe ertönten aus der dicht- gedrängten Menge, sonst blieb alles ruhig.

Wir wollen jetzt ausfahren und auch in den Dome des Invalides. Nachmittag ist Empfang beim Präsi- denten und beim Minister des Äußeren Delcass6. Morgen sollen wir den ganzen Zug mitmachen, zirka acht Kilometer. Es haben jetzt auf das Beispiel Deutschlands hin alle anderen Staaten auch Depu- tationen geschickt, die Hals über Kopf ankommen.

KABINETTSORDER.

Ich ernenne Sie hierdurch, unter Beförderung zum General- major, zu Meinem General k la suite und zum Kommandeur der X.Garde-Infanterie-Brigade. Gleichzeitig beauftrage ich Sie mit Wahmehmtmg der Geschäfte der Kommandantur von Pots- dam. Es gereicht Mir zum Vergnügen, Ihnen dies bekanntsu- machen.

Berlin, den 25. März 1899.

Wilhelm R.

An Meinen Flügeladjutanten, Obersten v. Moltke, Kommandeur des Kaiser-Alexander-Gardegrenadier-Regiments Nr. z.

TELEGRAMM.

Oberst von Moltke, Kommandeur Kaiser-Alexander-Gardegrena- dier-Regiments Nr. z, Regimentsbureau, Alexanderstraße 56.

Ich ernenne Sie zum z. April zu Meinem General 4 la suite und Kommandeur der z. Garde-Infanterie-Brigade. Indem Ich Sie mit schwerem Herzen von Ihrem vortrefflichen und unter Ihrer bewährten Leitung hervorragend ausgebildeten Regimente ab»

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alle gleichmäßig unglücklich sein sollen, bloß damit nicht einige glücklich sind.

P o t s da m y 23. August 1899.

Die Kanalangelegenheit ist eine recht betrübende und ernste Sache. Ich fürchte, sie wird noch unan- genehme Folgen haben in bezug auf die Stellung der Konservativen zu Sr. Majestät. Daß im Ministerium Veränderungen eintreten werden, betrachte ich als sicher. Meines Erachtens nach wäre es auch nicht weiter schade um ein ganz Teil der Herren. Wie sich alles noch entwickeln wird, weiß ich nicht. Die Ab- lehnung war doch wohl eine große Dummheit, denn kommen wird der Kanal doch.

Potsdam, 25. August i8gg.

Der Kaiser setzte sich mit mir hin und sprach lange über die Kanalvorlage usw. Ich habe getan, was in meinen Kräften stand, lun zu mildem und versöhn- lich zu stimmen. Die Erregung Sr. Majestät war aber sehr tiefgehend, und ich fürchte, daß bereits Anord- nungen erlassen waren, die nicht mehr rückgängig zu machen sind.

P o t s dam , 5. September 1899.

Da ich die Manöver selber leite, habe ich sehr viel zu tun und werde so ziemlich den ganzen Tag zu Pferde sein müssen. Ich bin selber neugierig, ^e es gehen wird, es ist das erste Mal, daß ich solche Ma- növer selber angelegt habe.

Döberitz, 14. Juni 1900«

Vorgestern und gestern habe ich das i.und 3. Garde* Regiment besichtigt, im Beisein des Divisionskom- mandeurs und des Kommandierenden Generals. Alles ging herrlich, und am Schluß bekam ich noch ein

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in Flammen stehen. Was man sich eigentlich bei einem Unternehmen gegen Peking denkt, ist mir völ- lig unklar und ich fürchte den Herrn metteurs en sc^ne ebenso. Die paar Mann, die wir dorthin (nach Taku) schaffen können, werden nutzlos sein dem An- sturm von Hunderttausenden f anatisierter Horden ge- genüber, und nun eine Kriegsführung von zehn ver- schiedenen Kontingenten imter einer Führung, der sich keiner wird unterordnen wollen, der Franzose wird nicht unter deutschem, der Deutsche nicht unter russischem, der Russe nicht unter japanischem Ober- befehl stehen wollen, dazu kein Kriegsobjekt, keine legale Regierung, mit der man selbst im günstigsten Fall Frieden schließen könnte, nichts als ein grund- loser Abgrund von Menschen, in dem die europäi- schen Häuflein ertrinken werden. Keine Ausrüstimg mit Trains usw., keine Basis als fünf bis sechs Schiffe, keine geregelte Nachfuhr von Lebensmitteln usw. Ich sehe dies ganze Unternehmen als ein wüstes Abenteuer an und hoffe, daß der Druck der Verhält- nisse uns vor demselben bewahren und dahin führen wird, uns auf das einzige zu beschränken, das wir tun können und meiner Meinung nach tun müssen, näm- lich unsere Kolonie Kiautschou zu schützen, dann den chinesischen Riesenbrand sich ausbrennen zu lassen und uns später durch Kompensationen schad- los zu halten. Was wollen wir in Peking? Wir müssen darauf hoffen, daß die Zeit, die gottlob ver- streichen muß, bevor unsere ersten Transporte an- langen können, Ruhe und Oberlegtheit auch bei uns die Oberhand gewinnen lassen. Vorläufig sind wir jeden Moment einer unvermuteten Willensexplosion ausgesetzt, die gänzlich unberechenbar ist. Die Rat- geber haben einen schweren Stand. Mit Besorgnis

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land noch mit England zu verschütten und können später unsere Rechnung präsentieren. Ich habe die- sen Standpunkt von Anfang an vertreten. Nun ist der Kaiser ganz dafür gewonnen, wie ich zu Gott hoffe, wird er festhalten zum Wohle des Vaterlandes. Es war eine aufregende Zeit, die tollsten Projekte wur- den gemacht, und die Zukunft stand oft auf des Mes- sers Schneide. Ich bin sehr froh, daß alles so ge- kommen. Der Kaiser hat sehr nett mit mir gespro- chen und ich habe auch unverfroren meine Meinung gesagt. Über unsere Abreise ist noch immer nichts bestimmt. Ich hoffe stets noch, sie unterbleibt ganz, aber wenn wir auch nun noch hinausgehen, so tue ich es doch mit leichterem Herzen.

Kiel, zo. Juli igoo.

Ich kann Dir noch sagen, daß ich gebeten hatte, mir das Kommando nach China zu geben, gestern war Hahnke hier und hatte in den Sachen Vortrag, da bat ich ihn noch einmal, mich dem Kaiser in Vorschlag zu bringen, was er auch getan hat, aber ohne Erfolg. Der Kaiser hat mich nicht gehen lassen, nicht wie ich glaube, weil er mich für unfähig hält, sondern weil er, wie er sagt, mich nicht entbehren kann. Eine wun- derliche Idee, ich habe auch gesagt, daß meine Bri- gade jeder führen könne und daß ich mit der größten Leichtigkeit zu ersetzen wäre, aber umsonst. Ich war recht enttäuscht, denn ich hatte mir schon einen großen Feldzugsplan zurechtgelegt und der alte Sol- datengeist mit seinem Drang nach Gefahr und Tätig- keit war wieder ganz in mir erwacht. Nun habe ich ihn fein sanft wieder schlafen gelegt und werde fort- fahren, meinen Beruf zu pflegen und mir im ü recht überflüssig vorzukommen.

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von Bord ging, so weiß ich nicht, was abgemacht worden ist. Die Lage ist aber, glaube ich, für uns nicht ungünstig.

Potsdam, 2. August igoo.

Die Ermordung des armen Königs von Italien ist eins der gemeinsten Bubenstücke, die es je gegeben. Er war ein wahrer Vater seines Volks und tat nur Gutes. Der Halunke, der ihn niedergeschossen, sollte